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Archiv-Artikel

Herstellung von Magie und Trance durch suggestiven Einsatz von Worten: Patti Smith im Docks Arabischer Albtraum der Amerikaner

Jesus als Frau: Wer könnte das sein, wenn nicht Patti Smith? Die Frau mit dem schweren Kreuz und die an der Klagemauer, die auf sich nimmt, was an Schmerz auszudrücken ist.

Gerade auch im Hinblick auf den 11. 9. und die Reaktion Bushs und seiner Gefolgsleute: Patti Smith findet auf ihrem neuen und neunten Album Trampin‘ einen Ton, der sich der Kriegsverletzungen annimmt, die durch Bushs Politik entstanden sind. Im Titel „Radio Baghdad“ berichtet sie aus der Perspektive der Bewohner der Stadt über die Zerstörung durch amerikanische Bomben in bedrohlich-beschwörender Manier. Sie ergreift Partei, als spräche sie direkt aus dem arabischen Albtraum der Amerikaner.

Dieses Stück ist in seiner politischen Vereinfachung eine überfällige Provokation. Das lange Gedicht entwickelt sich auf einem lose hängendem Sound-Teppich ohne Song-Struktur und baut sich langsam zu einem gespannten Striemen auf. Kein Stück wie „Horses“ vom gleichnamigen Debütalbum aus dem Jahre 1975, aber etwas, das nach Crescendo und Katharsis schreit.

„Die Rock-Schamanin mit Botschaft jenseits der Punk-Klone auf MTV“ (Zitat Tirol Online) beherrscht wie kaum eine andere Rocksängerin die Erzeugung von Suspense und Climax mittels Sprache und entsprechender Intonation. Die Midtempo-Songs des neuen Albums sind musikalisch als auch Rock-energetisch keine sonderliche Bereicherung des Smith-Spektrums. Aber Singen tut Patti wieder melodischer als lange Zeit zuvor. Eindrucksvoll ist „Cartwheels“, eine fragile Ballade und wohl-zelebrierte Ode an ihre 16-jährige Tochter Jesse Paris, die auch Piano auf dem Titel „Trampin‘“ – ein Spiritual von 1931 – spielt. Auch „Trespasses“ ist eine Ballade geworden, die man auf ein Greatest Hits-Album hieven könnte. Ebenso überzeugt „Peaceable Kingdom“.

Ob man mit Interview-Aussagen der Smith wie „Vielleicht brauchen wir Katastrophen, um aufzuwachen“ der politischen Weltlage gerecht wird, sei dahingestellt. Patti Smith zeigt auf ihrem neuen Album jedoch, dass sie noch immer in der Lage ist, durch suggestiven Einsatz von Worten Magie und Trance herzustellen. Mit einer derartigen Leichtigkeit bewegt sich sonst niemand zwischen den literarischen und musikalischen Welten.

Auch wenn dies für heutige Generationen von Anti-Rockism-Rockfans „nervig“ und lächerlich sein mag: Patti Smiths künstlerische Bedeutung ist höher einzuschätzen, als die von Television, Blondie und den Ramones zusammen. Einen totgeleierten Hit wie „Dancing Barefoot“ kann man sich auch in der Version von Mathias Arfmann und Tobias Gruben (aka Heroina) anhören. Patti Smiths Sack- und Asche-Outfit sieht nicht gerade nach Punk aus, obwohl sie eine hochgekrempelte Jeans und ein erwürgtes T-Shirt trägt. Eigentlich mutet es eher althebräisch an. Vielleicht ist Patti Smith 13.000 Jahre alt. Carsten Klook

Donnerstag, 20 Uhr, Docks