Durch Europa zum Orient über den Balkan zurück: „Trillke Trio“ in der Roten Flora
: „Dann wurden es einfach immer mehr Leute“

Es gibt noch Wachstum in diesem Land. Nicht dort vielleicht, wo ihn sich der Mainstream am ehesten erhofft, aber immerhin. Der Kinofilm Halbe Treppe zum Beispiel hat gezeigt, dass musikalisches Wachstum keineswegs auf Verkaufszahlen und Chartpositionen beschränkt sein muss. Von Szene zu Szene des vielfach preisgekrönten Plattenbausiedlungsdramas schwillt die Besetzung der Folkkapelle 17 Hippies an. Erst steht nur ein Einzelner vor einem Imbiss in Ostdeutschland und nervt dessen Besitzer Uwe bis zur Zahlung von Schweigegeld. Am Ende sind es Dutzende und spielen ihre traurig-schöne – ja, das darf man jetzt wieder so nennen: Zigeunermusik.

Ganz ähnlich wie die 17 Hippies klingt das Trillke Trio, und es steht auch zu dieser Verwechselbarkeit und macht gleich noch Schluss mit einer hergebrachten algebraischen Weisheit, dass der Bandname nämlich mit der tatsächlichen Besetzung zwingend in Zusammenhang stehen muss. Die 17 Hippies haben manchmal 13, gelegentlich auch 30 Mitglieder, sind in jedem Fall aber hochvariabel. Das Trillke Trio ist derzeit zu siebt.

„Bei dieser Zahl haben wir uns gesagt: jetzt reicht‘s“, sagt Percussionist Sönke Franz über die Kapellenentwicklung. Anfangs nämlich haben tatsächlich lediglich drei Mitgestalter eines Hildesheimer Wohnprojektes im so genannten Trillke-Gut, am niedersächsischen Flüsschen Trillke-Bach gelegen, das Trillke-Trio irgendwie ganz bewusst numerisch festgezurrt. „Dann wurden es einfach immer mehr Leute aus dem Haus“, meint Sönke, der neben allerlei verschiedenen Klanginstrumenten auch das Cajón bedient, eine Mischung aus Sitzmöbel, Holzkiste und Trommel. Solche Projekte verselbständigen sich eben schnell.

Mittlerweile besteht das Klangmobiliar aus Akkordeon, Geige, Gitarre, Querflöte, Saxofon, Akkordeon, Cello, ganz vielen Rhythmusgerätschaften und zumeist keinerlei Stimmbandeinsatz. Das Ergebnis nennt sich dann offiziell „Whirled Folk“ – frei übersetzbar vielleicht mit verwirbelte Weltmusik und ist alles in allem eine ziemlich bunte Mischung aus skandinavischer Polka, spanischem Rasguedo, jiddischem Klezmer, aus Rock, Pop, Ska, Blues und Latino. Eine folkloristische Reise, wie sie es nennen, durch Europa zum Orient und über den Balkan zurück in norddeutsche Gefilde.

Also ziehen wir ein kurzes Zwischenresümee und raten dreimal, wo so eine Kapelle in Hamburg am besten spielen könnte: Eine vielköpfige, gedankenoffene, grenzüberschreitende, gemischtgeschlechtliche Tanzkapelle aus einem alternativen Wohnprojekt, das üblicherweise auf Hochzeiten, Festivals, Wagenplätzen, Kneipenbühnen, Straßenfesten, Hausbesetzungen oder einfach der Straße spielt. Also die Staatsoper fällt da aus, nein, auch Mandarin/Tunnel/Docks und Co sind es eher nicht. And the winner is: Die Rote Flora! Dort stellt das Trillke Trio nicht nur seine Platte namens „Whirled Folk“ vor, sondern versucht sich aller Voraussicht nach auch noch am Füllen der großen Halle.

Ein äußerst schwieriges Unterfangen, unterstützt immerhin von der unmittelbar zuvor grundversorgenden Volxküche. Aber die Musik ist so treibend und klingt in ihrem Grundgestus so wenig linksalternativ abgeschmackt, dass man getrost hingehen kann, auch wenn man die Inchtabokatables, Guts Pie Earshot oder vergleichbare Folkpunkrockprojekte einfach nicht mehr hören kann. Trillke Trio sind sicherlich nicht der musikalische Folkstein der Weisen, aber Spaß machen sie allemal, ganz besonders live. Und das ist doch schon was, in tristen, wachstumsarmen Zeiten. Jan Freitag /

Montage: Henning Scholz

Montag, 21 Uhr, Rote Flora