„Theaterlust“ zeigt im Theater N.N. „Gretchen 89ff“ – eine Studie über Abgründe des Schauspielbizztheaters
: Bloß keine Theorie!

Jeder hat wohl einen Schauspieler in der Familie, im Freundeskreis oder im weiten Feld der Bekannten. Und möglicherweise hat man sich schon oft gefragt, was eigentlich mit denen los ist? Warum machen die das? Und – wie machen die das?

Die Münchner Bühnenproduktions-Plattform „Theaterlust“ will in Zeiten des finanziellen Notstands kulturelle Alternativen bieten. Die aufwandsgeringe Produktion ist eine Voraussetzung dafür. Ebenfalls nötig sind Erfahrungen mit dem „System“ Theater. Und genau diese präsentieren die Münchner selbstironisch in ihren Darstellungen der Kästchenszene, aus Goethes Faust Eins, Seite 89 folgende, die jetzt im Theater N.N. zu sehen ist. Der Titel des Stücks: Gretchen 89ff.

Das Margaretchen ist in dieser Situation angesichts des Kästchenfundes und der damit verbundenen materialistischen Verführung ziemlich verwirrt. Und genau dies ist die Szene, die der Regisseur Lutz Hübner in Gretchen 89ff mit wechselnden Schauspielerinnen probt.

Der Regisseur lässt die ZuschauerInnen dabei einen Blick hinter die Kulissen werfen: Man trifft die Diva, die nervt, weil sie sich für alles zu schade ist und über ihr Ego hinaus keine Wahrnehmung entwickelt : „Herrgott, in diesem Kaff ein Taxi zu kriegen scheint ja ein Ding der Unmöglichkeit zu sein.“ Oder wir erleben die Anfängerin, die durch devote Unsicherheit auffällt: „Guten Morgen Herr Riedel, ich hab da ... ich hab da einige Schwierigkeiten mit der Szene.“ Anja Klawun wird die verschiedenen Typen von Schauspielerinnen vorführen.

Nachdem die Münchnerin die Welt der Märchen und des Kindertheaters hinter sich ließ, glänzte sie in mainstreamigen Fernsehserien wie Marienhof, Soko oder Aktenzeichen XY. Aber die Rolle des Gretchens ist ihr nicht fremd: Ihre Erfahrungen mit dem „Ernstfall“ sammelte sie in der Faust 1-Produktion des Münchner Regisseur Ingmar Thilo.

Der Regisseur wird in Gretchen 89ff von Thomas Luft gespielt. Der spielt sich seit zwölf Jahren über die Theaterbühnen und vor die Fernsehkameras. Auch hinter der Kamera gefällt es ihm wohl ganz gut, denn nach ersten eigenen Inszenierungen erprobte er sich 2003 am eigenen Kino-Kurzfilm David Klotherjahn.

In dem Stück, das jetzt im Theater N.N. aufgeführt wird, erlebt man Thomas Luft als Regisseur mit freudschem Habitus: „Schon o.k., du brauchst dich nicht vor mir zu erniedrigen, nur weil ich hier Regie führe ... wir wollen uns ja kennen lernen, nicht?“ Oder er erscheint als immer Lockerer und Selbstgerechter: „Verschon‘ mich mit der ganzen Theorie-Scheiße, der Rezipient muss das nachher auch ganz unmittelbar aufnehmen. Wichtig ist, du musst das fleischlich nehmen.“

Lutz Hübner, der Autor von Gretchen 89ff, schreibt gern Stücke im Sinne des Zeitgeistes. Er versucht mit geringem Aufwand, kleiner Besetzung und eher begrenzten Konflikten theater-praktisch zu schreiben. Da seine Stücke jeder Art von Ideologie skeptisch gegenüberstehen, kann man davon ausgehen, dass er auch in Gretchen 89ff den eigenen Mikrokosmos kritisch ausleuchtet, ohne den Humor zu verlieren. Denn laut seiner Biografie „überwiegen fast immer eine direkte, nüchterne Alltagssprache und treffsichere, witzige Dialoge. Das adäquate bzw. nichtadäquate Verhalten der Figuren ist das gemeinsame Motiv, welches mehr oder minder deutlich sichtbar alle Stücke Hübners dominiert, denen er komische, tragische und tragikomische Varianten abgewinnt.“ Bianca Ludewig

Premiere: Do, 20 Uhr, Theater N.N., Hellkamp 68