Deutsche Ernüchterung im Sudan

Außenstaatssekretärin Müller stellt nach Besuch in der Krisenregion Darfur fest: Sudans Regierung hält sich nicht an die eigenen Zusagen – im Gegenteil: Die Lage wird immer schlimmer. US-Abgeordnete verlangen Feststellung eines Völkermordes

AUS BERLIN DOMINIC JOHNSON

In Sudans Hauptstadt Khartum hatte Bundesaußenminister Joschka Fischer am Montag noch gesagt: „Dies ist nicht die Stunde, um über Sanktionen zu reden.“ Es gehe um die Umsetzung der Vereinbarungen, die Sudans Regierung am 3. Juli mit UN-Generalsekretär Kofi Annan getroffen hatte, um den Milizenterror in Darfur zu beenden: Abzug und Entwaffnung der regierungstreuen Dschandschawid-Milizen, Einhaltung der Menschenrechte. Gestern stellte Fischers Staatssekretärin Kerstin Müller in Berlin nach ihrer Rückkehr aus Darfur fest: „Es gibt keine Umsetzung der Zusagen an Kofi Annan. Die Gewalt wird fortgesetzt.“

Müller war am Dienstag nach den Gesprächen in Khartum in das Vertriebenenlager Kalma bei Nyala gereist, Hauptstadt der Provinz Süddarfur. Es war der erste Aufenthalt eines deutschen Regierungsmitglieds in Darfur, wo der Krieg von Armee und Milizen gegen die Zivilbevölkerung seit 2003 zu zehntausenden Toten und über 1,2 Millionen Vertriebenen geführt hat. In Kalma sah Müller ein völlig unterversorgtes Lager mit etwa 50.000 Insassen, in das wöchentlich ca. 1.000 neue Vertriebene fliehen. Müller konstatierte, „dass die Angriffe auf die Zivilbevölkerung planmäßig und systematisch durch Dschandschawid-Milizen in Zusammenarbeit mit der Regierung fortgesetzt werden“.

Weiter stellte die Staatssekretärin fest: „Die Regierung hat in den Gesprächen in Khartum bestritten, dass sie mit den Dschandschawid kooperiert. Wir haben keine anderen Informationen als die, dass diese enge Kooperation stattfindet. Eine Entwaffnung der Dschandschawid findet nicht statt. Im Gegenteil soll die Regierung begonnen haben, Dschandschawid in Armee und Polizei zu integrieren. Wenn sich das bestätigt, heißt das, statt der Umsetzung der Zusagen würde man die internationale Gemeinschaft an der Nase herumführen.“ Es müsste einen UN-Sanktionsbeschluss geben, „wenn die Regierung nicht handelt“, und zwar „in den nächsten Tagen“.

Kalma ist ein Brennpunkt der andauernden Kämpfe in Süddarfur. Noch am 6. Juli gab das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR die Einwohnerzahl des Lagers mit 26.000 an.In einem Lagebericht der US-Hilfsagentur USAID vom 9. Juli wird unter Berufung auf UNHCR aus Kalma berichtet: „Neuankömmlinge melden, dass ihre Dörfer südöstlich von Nyala mit Antonov-Flugzeugen und Kampfhubschraubern der Regierung angegriffen wurden. Nach den Luftangriffen hätten bewaffnete Männer in Kleinlastern und auf Pferden und Kamelen Zivilisten getötet, Frauen vergewaltigt, Eigentum gestohlen und Häuser angezündet.“ Berichte von Darfur-Rebellen bestätigen, dass seit 30. Juni rund 40 Dörfer zerstört worden seien.

Die nicht nur um Nyala zunehmende Unsicherheit habe zu einer „ernsthaften Verlangsamung der Nahrungsmittelhilfe in Süd- und Westdarfur“ geführt, so USAID weiter. Die UN-Nachrichtenagentur Irin sprach gestern in einem Bericht aus Westdarfur von einer „Abwärtsspirale“ in der humanitären Situation. Aus Kalma bestätigt Müller: „Die Neuankömmlinge, die zum Teil seit sieben Tagen da sind, sind in sieben Tagen weder mit Wasser noch Essen noch medizinisch versorgt worden, und das nach monatelangen Fußmärschen.“

Welche politischen Konsequenzen die Verschlimmerung der Lage hat, hängt zunächst von den USA ab. Dort verschärft sich der Ton. US-Präsident George Bush bekräftigte am Dienstag die Forderung nach einem „Ende der Gewalt“ in Darfur. Zugleich brachte eine fraktionsübergreifende Gruppe von Abgeordneten im US-Kongress einen Antrag ein, die Gewalt in Darfur als „Völkermord“ zu definieren. Dies würde juristisch gesehen sofortiges Eingreifen erzwingen.