berliner szenen Die Mitte Berlins

Total tot

Auf einem trostlosen Grünstreifen an der Alexandrinenstraße befindet sich die Mitte Berlins, genauer gesagt „der Flächenschwerpunkt in den Grenzen von 1996“, wie es auf einer eigens dort angebrachten Marmortafel heißt. Würde man also Berlin ausschneiden und auf ein Stück feste Pappe kleben, könnte man es an genau dieser Stelle in der Balance halten. Die Mitte Berlins, einer vorgeblichen Weltmetropole: Da staunen die Touristen immer, die in die Mitte Berlins gebracht werden wollen, „dahin, wo was los ist“. „Dahin, wo was los ist, oder in die Mitte?“, frage ich dann. Versteift sich der Besucher auf die Mitte, bringe ich ihn hierher und zeige ihm die kleine Marmorplatte. „52 Grad, 30 Minuten, 10,4 Sekunden nördlicher Breite“, steht darauf, „13 Grad, 24 Minuten, 15,1 Sekunden östlicher Länge“ sowie „Vermessungsamt Kreuzberg in Zusammenarbeit mit der Steinmetz- und Bildhauer-Innung Berlin“.

Die Touristen sind zunächst alle sprachlos. „It’s all dead“, bekomme ich oft zu hören. Auf der Straße sieht man keine Menschenseele. Nur ein Betrunkener schleicht sich seitlich heran und pisst auf die Tafel, die an dieser Stelle schon merklich ausgewaschen ist. Solche Leute sind der Dolch im Rücken der Berliner Fremdenverkehrswerber, eine Schande für die Mitte Berlins! „Yes – it’s all dead“, stimme ich zu. Wenn der Tourist nett ist oder besonders enttäuscht, setze ich mich manchmal mit ihm auf eine Parkbank neben der Mitte Berlins und erkläre ihm alles in Ruhe: Die Geschichte der Stadt und dass sie eben nicht ist wie andere Metropolen. Dass sie überhaupt keine Metropole ist. „It’s all dead“, wiederhole ich bekräftigend, „nix los hier, all kaputtschikato!“ Oft habe ich dann eine fette Tour zurück zum Flughafen Tegel. ULI HANNEMANN