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Archiv-Artikel

„Paraforschung zum Zweck der Promotion“

Der Dr. med. ist seit langem schon ein Titel ohne Aussagekraft. Inzwischen denken selbst Ärzte über eine Änderung der Promotionsordnung nach

Die Promotionskandidaten aus den Geistes- und Naturwissenschaften beklagen es ja schon seit längerem: In der Medizin kann man sich mit dünnen 40- Seiten zum Doktortitel katapultieren, die inhaltlich so aktuell sind wie eine Nachrichtensendung vom letzten Jahr. Da wird zum unzähligsten Mal der Aufbau des Kniegelenks diskutiert, oder aber die Wundheilung von Nacktmäusen untersucht – wissenschaftliches Neuland aber, wie man es eigentlich von einer Promotionsschrift erwartet, wird nur selten betreten.

Die Medizin und ihren Ausbildungsbetrieb stört dieser „Titelschwindel“ bisher jedoch nur wenig. Die Promotion gilt dort nach wie vor als obligat. Und die wenigen Ärzte, die darauf verzichten, bereuen diesen Schritt spätestens dann, wenn sie sehen, wie ihre Patienten weg bleiben und lieber zum Kollegen mit dem Dr. med. gehen. Doch die kritischen Stimmen werden lauter, auch aus den Kreisen der Medizin.

So stellte die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin in ihrem jüngsten Positionspapier die „Paraforschung zum Zweck der Promotion“ an den Pranger. Man beklagt, dass der Doktortitel nur noch „als Aushängeschild für einen praktizierenden Arzt“ dienen würde, obwohl er doch eigentlich die wissenschaftliche Qualifikation des Trägers unterstreichen sollte. Und Karl Max Einhäupl vom deutschen Wissenschaftsrat sieht bei den medizinischen Dissertationen den Trend, „irrelevante Fragestellungen mit unzulässigen Methoden“ zu untersuchen und dafür doch „zu guter Letzt einen wohlklingenden Titel“ zu bekommen.

Der Wissenschaftsrat fordert daher, dass die Medizinstudenten ihre Ausbildung künftig mit einer Abschlussprüfung zum „medizinischen Doktor“ beenden, der praktisch den Status eines Diploms besitzt. Wer dagegen wissenschaftlich arbeiten will, macht im Anschluss an das Studium eine richtige Forschungspromotion. In dieser Zeit soll er – jenseits des verschulten Ausbildungsbetriebs – mehr oder weniger ungestört forschen können. Erst danach darf er sich den „echten“ Doktortitel vor den Namen schreiben. Bleibt die Frage, warum man am „medizinischen Doktor“ festhält, statt ihn direkt zum Diplom umzutaufen, um beim Patienten eine Verwechslung mit dem Dr. med. auszuschließen. Und es bleibt die Frage, ob die breite Medizinerschaft überhaupt ein Interesse an einer Neustrukturierung ihrer Abschlüsse hat. Denn hier schätzen immer noch viele den Status, der mit dem bisherigen Dr. med. verbunden ist.

An den saarländischen Universitätskliniken schickte unlängst ein Klinikdirektor ein Rundschreiben an seine Mitarbeiter, weil er „ein unbeliebtes, aber für das Image unserer Klinik wichtiges Thema ansprechen“ wollte, nämlich „die Anreden in meinem Hause“. Darin stellt er kategorisch fest: „Der Doktortitel ist Teil des Namens und sollte für alle, die ihn besitzen, bei der Anrede auch verwendet werden.“

Der imagebewusste Klinikdirektor irrt jedoch: Der Bundesgerichtshof verkündete schon im Jahr 1962, dass der Doktor nicht zum Namen gehört.JÖRG ZITTLAU