: Dabei bis zum Schluss
Wer einen Selbstmörder in der letzten Stunde begleitet, sei es als Arzt oder Angehöriger, macht sich strafbar. Jetzt fordern Juristen und Politiker, die Begleitung eines Suizids solle legalisiert werden
VON CHRISTIAN RATH
In Deutschland muss ein Selbstmord einsam sein.
Die Rechtslage in Deutschland ist zwar auf den ersten Blick recht liberal: Die Beihilfe zum Selbstmord ist keine Straftat, weil auch der Selbstmord nicht bestraft wird. Wer einem Lebensmüden ein Buch über Selbstmordtechniken besorgt, geht straffrei aus. Über das Internet kann man sich zahlreiche Anleitungen zum schnellen Abschied beschaffen – straflos für Anbieter und Bezieher. Selbstverständlich ist das nicht. In England zum Beispiel kann die Beihilfe zum Selbstmord mit hohen Haftstrafen belegt werden.
Doch die deutsche Rechtsprechung hat die scheinbar liberale Rechtslage fast ins Gegenteil verkehrt. Es ist zwar möglich, einem Selbstmörder Gift zu verschaffen, aber sobald es wirkt, müssen anwesende Personen versuchen, den Lebensmüden zu retten. Verwandte und Ärzte machen sich sonst wegen Tötung durch Unterlassen schuldig. Anderen Personen droht eine Bestrafung wegen unterlassener Hilfeleistung. Nur wenn schwerste Dauerschäden drohen, kann der Arzt ausnahmsweise auf einen Rettungsversuch verzichten. Der Wille des Selbstmörders ist nach Verlust des Bewusstseins nicht mehr zu achten, so der Bundesgerichtshof (BGH) in einer Grundsatzentscheidung.
Ist der Suizid geplant?
Der BGH stellte dabei vor allem auf den Zeitfaktor ab. Wer einen Selbstmörder überrascht, könne auf die Schnelle gar nicht erkennen, ob hier ein „frei veranwortlicher“ Suizid vorliegt oder ob der Lebensmüde eher depressiv und drogenabhängig war. Außerdem glauben die Richter, dass viele Selbstmordversuche so gestaltet werden, dass die Chance besteht, es könnte noch jemand dazukommen. Letztlich handele es sich dabei eben nicht um reife Bilanzselbstmorde, sondern um verzweifelte Appelle an die Umwelt.
Gute Argumente – aber sie passen schlecht, wenn ein Selbstmörder bewusst in Begleitung aus dem Leben scheidet, zum Beispiel nach langer, schwerer Krankheit. Es macht wenig Sinn, dass Angehörigen und Ärzten auch dann Haftstrafen drohen, wenn eindeutig ein selbstbewusstes Aus-dem-Leben-Scheiden vorliegt.
Eine von Justizministerin Brigitte Zypries eingesetzte Kommission unter Leitung des ehemaligen BGH-Richters Klaus Kutzer forderte jüngst: Niemand sollte mit den Mitteln des Strafrechts gezwungen werden, „einen schwer leidenden Menschen in der von ihm selbst und frei verantwortlich gewählten Stunde des Todes allein zu lassen und ihn zum Weiterleben zu nötigen“. Ähnliche Stimmen gibt es auch in der Enquetekommission des Bundestags zu „Ethik in der Medizin“. Im taz-Interview forderte deren Mitglied Marlies Volkmer (SPD), „die Unterstützung zur Selbsttötung zuzulassen, wie es in der Schweiz möglich ist“.
Eigentlich ist die Gesetzeslage in der Schweiz ganz ähnlich wie in Deutschland: Aktive Sterbehilfe durch den Arzt oder andere Personen ist verboten, die Beihilfe zum Selbstmord ist erlaubt. Der Unterschied liegt in der Rechtspraxis: Ein Sterbewunsch wird auch nach Verlust des Bewusstseins rechtlich akzeptiert. Niemand muss den Selbstmord daher aus strafrechtlichen Gründen allein begehen.
Es gibt sogar mehrere Organisationen in der Schweiz, die für Selbstmörder professionelle Sterbebegleitung anbieten. Die in Deutschland bekannteste ist Dignitas, weil sie auch Ausländern hilft. Der Ausländer muss Atteste über eine „hoffnungslose“ Krankheit mitbringen, Ein Arzt prüft dann, ob der Sterbewunsch ernsthaft ist, und schreibt gegebenenfalls ein Rezept. Später trinkt der Lebensmüde in einer Dignitas-Wohnung einen Becher mit Natrium-Pentobarbital-Lösung. Nach etwa drei Minuten geht das Bewusstsein verloren, anschließend tritt eine Atemlähmung ein, die vom Sterbenden allerdings schon nicht mehr wahrgenommen wird. Begleiter von Dignitas und Angehörige können bis zuletzt Beistand leisten.
Zypries zaudert
Von Brigitte Zypries, der wenig konfliktfreudigen Justizministerin, ist eine explizite Legalisierung des begleiteten Suizids wohl kaum zu erwarten. Schließlich agitieren die Gegner der Sterbehilfe bereits jetzt: „Die Duldung des ärztlich assistierten Suizids wäre ein Einfallstor für die aktive Sterbehilfe“, warnt etwa Eugen Brysch von der Deutschen Hospizstiftung.
Mittelbar könnte Zypries aber doch helfen. Denn sie will Patientenverfügungen stärken und das könnte auch im Falle eines wohlüberlegten Suizids von Nutzen sein. Eigentlich dienen solche Verfügungen dazu, vorsorglich Grenzen der ärztlichen Behandlung festzulegen, falls jemand krankheitsbedingt ins Koma fällt. Ist künstliche Beatmung und Ernährung erwünscht, oder wird Apparatemedizin abgelehnt? Künftig aber könnte auch ein Selbstmörder vor dem Akt schriftlich festhalten, dass er bei Bewusstlosigkeit ärztliche Hilfe ablehnt. Ein anwesender Arzt oder Angehörige müssten das respektieren – und erhielten so zugleich auch Rechtsicherheit für den persönlichen Beistand.