: Rückendeckung für die Atomgegner
Kurswechsel der niedersächsischen Justiz: Die Demonstranten gegen die Castor-Transporte im Wendland erringen gleich mehrere Siege vor Gericht. Straßensperren für jedermann sind danach nicht mehr rechtens. Nun soll Demoverbot kippen
AUS LÜCHOW JÜRGEN VOGES
Polizeikessel, Kontrollstellen, großflächige Demonstrationsverbote – für die wendländischen Atomkraftgegner und ihre auswärtigen Freunde ist das Demonstrieren in den vergangenen Jahren nicht einfacher geworden. Zunehmend versuchte die Polizei, die friedlichen Proteste gegen Castor-Transporte in das Gorlebener Zwischenlager schon im Vorfeld zu unterbinden. Nun zeichnet sich eine Trendwende der niedersächsischen Justiz ab.
In einer Reihe von Gerichtsurteilen haben Richter in Lüneburg oder Dannenberg jetzt gezeigt: Sie sind nicht bereit, im Interesse reibungsloser Atommülltransporte rechtsstaatliche Prinzipien gänzlich über Bord zu werfen. So stellte das Verwaltungsgericht Lüneburg in der vergangenen Woche fest, dass die Polizei aus einer Kontrollstelle nicht einfach Straßensperre für jedermann machen darf. Wenn sich irgendwo in der Nähe der Transportstrecke Demonstranten sammelten, pflegten die Ordnungskräfte bislang die entsprechende Gegend oft weiträumig abzusperren. Anwohner konnten oft ihre Häuser nicht erreichen. Und für die AKW-Gegner war oft schon Schluss weit vor der 50-Meter-Zone beiderseits der Transportstrecke, in der zwischen Lüneburg und dem Zwischenlager seit Jahren ein Demoverbot gilt.
Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts Lüneburg hatte die Polizei im November 2001 auch den Ort Laase vor Gorleben durch mehrere Kontrollstellen weiträumig abgeriegelt. Aus einer zugelassenen Mahnwache hatte sich dort eine Sitzblockade auf der Transportstrecke entwickelt, und man wollte „den Zulauf unterbinden“. Dann versuchte auch der Rechtsanwalt Wolf Römmig, an fünf Stellen zu Fuß, mit dem Auto und auch mit dem Fahrrad die Polizeiabsperrung zu passieren – vergeblich.Genau protokollierte er seine Zurückweisungen durch die Ordnungskräfte. Nun erklärte das Verwaltungsgericht die Zurückweisung des Juristen für rechtswidrig und nahm für das Verhalten der Polizei sogar Wiederholungsgefahr an. Schließlich war dem Anwalt bei einem späteren Transport Ähnliches widerfahren. Eine Kontrollstelle sei aber keine Absperrung, dort dürften nur solche Personen zurückgewiesen werden, von denen erkennbar eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehe. Nur wenn jemand mit der Spitzhacke über der Schulter unterwegs sei, dürfe ihn die Polizei stoppen, sagte Gerichtssprecher Wolfgang Siebert.
Die Lüneburger Entscheidung ist längst kein Einzelerfolg der zahlreichen engagierten Anwälte mehr, die die wendländischen AKW-Gegner beharrlich unterstützen. Zuvor hatte etwa das Amtsgericht Dannenberg einem Motorradfahrer Recht gegeben, der ebenfalls 2001 fernab des Protestgeschehens stundenlang von der Polizei festgehalten wurde. Das Oberlandesgericht Celle stellte fest, dass auf Gleisen sitzende Demonstranten zwar eine Ordnungswidrigkeit begehen, aber keine Straftäter sind – und hob ein anders lautendes Urteil das Landgerichts Lüneburg auf.
Schon mehrfach für rechtswidrig erklärt wurde die stundenlange Einkesselung von 724 Demonstranten im November 2002 wiederum bei Laase. Rechtsanwältin Ulrike Donat aus Hamburg hofft nun auch auf eine erfolgreiche Klage gegen die Demonstrationsverbote der letzten Jahre. Die Gewalttäter, mit der das Demoverbot beiderseits der Strecke seit Jahren begründet wird, sind mittlerweile auch laut Polizei und Verfassungsschutz gar nicht mehr dabei.