: Im Auftrag der werktätigen Massen
Im Kunstarchiv des brandenburgischen Städtchens Beeskow lagern riesige Bestände an DDR-Auftragskunst. Sie wird wieder häufiger nachgefragt und sogar von Behörden als Wandschmuck ausgeliehen. Denn DDR-Kunst erfährt eine Neubewertung
von HENRIKE THOMSEN
Das Gemälde von einem Kopf, der abgeschnitten und isoliert in tristen Blau-Grau-Tönen auf einem Hügel ruht, signiert von Wolfgang Mattheuer, steht dicht neben dem Mosaikbild einer Frau in den kräftig-naiven Farben der Bauernmalerei, gemalt von Walter Womacka. Auf dem Tisch liegt eine Grafikmappe zum Thema Bauernkrieg, die 1975 in der DDR aufgelegt wurde. Bernhard Heisig scheint sich dabei mehr für die surrealistische Frottagetechnik interessiert zu haben als für das Sujet. Dramatisch durchgeriebene Strukturen treiben die Zeichnung fast bis zur Abstraktion, die der DDR-Kunstdoktrin zufolge doch eigentlich verpönt war.
Das Kunstarchiv im brandenburgischen Beeskow, das die Bestände der so genannten DDR-Auftragskunst für Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern enthält, ist für manche solcher Überraschungen gut. Rund 23.000 Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen und Devotionalien aller Art wurden hier im ehemaligen „Kunst- und Dokumentationszentrum“ gesammelt. Natürlich gibt es dort viel Mittelmaß und Kunsthandwerk aus dem früheren Besitz der Ost-Parteien, der Gewerkschaften oder anderer Organisationen zu sehen, daneben aber auch manch arrivierter Name wie Mattheuer oder Heisig
Mit seiner Gemengelage aus Kitsch und Qualität, politischer Normerfüllung und Subversion ist der als Depot dienende Getreidespeicher in Beeskow ein typischer DDR-Erinnerungsspeicher. Wenn nun Kunst aus der DDR im Zuge der großen Berliner Ausstellung, die derzeit in der Nationalgalerie stattfindet, neu bewertet wird, dann profitieren davon indirekt auch die umstrittenen Bestände in Beeskow und verwandten Depots.
Mindestens 50.000 Werke verwalten die Depots insgesamt, wenn man die Sammlung des Kunstfonds Dresden mit 21.000 Exponaten und die nicht bezifferten Bestände von Thüringen und Sachsen-Anhalt hinzurechnet. Bisher sahen sie sich besonders dem Vorwurf des politischen Opportunismus ausgesetzt, waren doch die meisten Stücke von Organisationen und Betrieben offiziell in Auftrag gegeben oder gekauft worden. „Nicht dass ein Auftrag vorliegt, sondern wie damit umgegangen und was daraus gemacht wurde, ist von kunsthistorischem Interesse“, postuliert dagegen Eduard Beaucamp im Katalog zur massenwirksamen Überblicksausstellung „Kunst der DDR“ in Berlins Nationalgalerie. Der langjährige FAZ-Kritiker streitet – zusammen mit Gleichgesinnten wie dem Dresdener Kultursoziologen Karl-Siegbert Rehberg oder Monika Flacke, die am Deutschen Historischen Museum 1995 die Ausstellung „Auftrag: Kunst“ organisierte – seit Jahren für einen neuen, respektvollen Umgang mit der DDR-Kunst.
Flacke versuchte damals, gegen die Pauschalverurteilung anzuschreiben, doch Ausstellungen in Beeskow und nicht zuletzt in Weimar erschwerten die Differenzierung wieder. 1999 gab Rehberg zusammen mit Paul Kaiser das 700 Seiten starke Opus magnum „Enge und Vielfalt: Auftragskunst und Kunstförderung in der DDR“ heraus.
Ob als direktes Resultat oder nicht – die Hemmschwelle der Museen, in den Depot-Beständen nach Ausstellungsstücken zu suchen, sei inzwischen „kolossal gesunken“, so die Verwalter. In Sachsen-Anhalt und Thüringen sind die meisten Werke dauerhaft ausgeliehen – auch an Behörden, die sich damit erneut die Wände schmücken. Beeskow, der Kunstfonds Sachsen und das Dezernat für Kultur- und Denkmalspflege in Sachsen-Anhalt betreiben selber aktiv Ausstellungsreihen.
Sachsen hat seinen Bestand als Erstes wissenschaftlich umfassend erschlossen, daneben zumindest teilweise auch die Bestände von Thüringen. In Beeskow will man bis Ende des Jahres zumindest die 1.500 Gemälde vollständig erfasst haben. Wöchentlich erhalten die beiden Verwaltungen Rechercheanfragen von Kunsthistorikern, interessierten Privatleuten oder Filmemachern – wie etwa dem Team von „Good Bye Lenin“, das sich mit Fahnen, Büsten und Plakaten eindeckte.
„Die ersten zehn Jahre hat man alle Bilder durch die ideologische Brille gesehen. Jetzt besinnt man sich immer mehr darauf, dass diese Werke nun einmal die Identität der Menschen in der DDR geprägt haben. Man muss sie nicht alle feiern, aber man muss sich mit ihnen auseinander setzen“, sagt der Chef des Kunstfonds, Ralph Lindner.
Die Gefahr der ostalgischen Vergangenheitsverklärung lässt sich jedoch nicht so einfach bannen. „Es ist schwierig, in Zeiten wie diesen eine kritische Offenheit zu vermitteln“, gibt der Beeskower Kulturamtsleiter Wolfgang de Bruyn zu. „Viele Leute möchten sich einfach in den Bildern wiederfinden und die Vergangenheit schönen.“
Als Gegenstrategie entwickeln der Sohn des Schriftstellers Günther de Bruyn und seine Kollegen Ausstellungen, die thematisch größere Bezüge und die Einordnung der Werke in die internationale Kunstgeschichte erlauben. Die Ausstellung „Europaweit“ zur Kunst aus den Sechzigerjahren etwa ergänzte die Moritzburg bei Halle mit Werken aus den eigenen Beständen an DDR-Kunst. Klug inszeniert, können diese Bilder die anhaltende Mythologisierung der DDR dekonstruieren. „Die Werke mit Kindern gehören zu den hintergründigsten“, führt Lindner als Beispiel an. „Man sieht fast nie ausgelassene Kinder, die Spaß haben oder spielen.“
Dank des neu erwachten Interesses sind die Depots inzwischen nicht mehr von der finanziellen Abwicklung bedroht. Für Beeskow besiegelten die Trägerländer nach einer jahrelangen Zitterpartie im November endlich offiziell einen Vertrag, der mit jährlich 214.000 Euro den Fortbestand des Kunstarchivs garantiert. Von Budgets wie den 350.000 Euro für eine einzige Ausstellung, wie sie der Nationalgalerie dank der Bundeskulturstiftung zur Verfügung standen, kann man auch in den anderen Ländern nur träumen. Die Etats reichen in der Regel für die Lagerung und „notdürftige Reparaturen“; schon die Anschaffung eines modernen Hängeregals sprengt den Kostenrahmen. Dennoch: Junge Kunst hat es noch schwerer, erfährt sie bei der ständig sinkenden öffentlichen Kulturförderung praktisch gar keine Unterstützung mehr.
Der Umgang mit der so genannten Auftragskunst bleibt aber ambivalent. Dass sie keine tote Masse bildet, sondern von Kuratoren und Forschern zunehmend genutzt wird, ist eine positive Entwicklung. Die Auswertung der Akten über Auftragsvergabe und Ankäufe erhellt zusätzlich den Kontext, in dem Kunst in der DDR entstand. „Die Geschichte hinter den Bildern ist oft das Interessanteste“, sagt Wolfgang de Bruyn. Und da gibt es noch viele ungeschriebene Kapitel. Die Sammlung der Nationalen Volksarmee etwa ging vermutlich ans Verteidigungsministerium und wurde nirgends verzeichnet.
Manches taucht dann auf Umwegen wieder auf. So etwa eine Grafik-Serie des Schweriner Künstlers Winfried Wolk: Die konstruktivistisch anmutenden Rot-Grün-Drucke hatten einst die Vorstandsräume der Ost-CDU geziert. Jetzt lud sie ein Privatmann aus seinem Kofferraum und übergab sie de Bruyn.