Paragraf 175

1935 war die seit 1871 bestehende Strafbestimmung für homosexuelle Männer ausgeweitet und verschärft worden. Während der 10-jährigen NS-Verfolgung wurden mehr als 40.000 Urteile danach gefällt. In der Nachkriegszeit erfolgten anhand dieser rigorosen Strafbestimmungen von 1950 bis 1969 mehr als 60.000 Verurteilungen auf dem Gebiet der BRD.

Entgegen einem Vorhaben der alliierten Besatzungsmächte, im Rahmen der Entnazifizierung des Rechts auch den Paragrafen 175 auf die frühere Fassung der Weimarer Republik zurückzuführen, wurde an den NS-Strafbestimmungen festgehalten. Die uneingeschränkte Weitergeltung wurde 1951/52 durch Entscheidungen des Bundesgerichtshofs gebilligt. Betroffene klagten 1953 vor dem Bundesverfassungsgericht. Das entschied erst 1957 darüber und legitimierte erneut die Weitergeltung und Verfolgung.

1969 erfolgte eine erste Reform des Paragrafen 175. 1973 wurde die seit der NS-Zeit geltende Schutzaltersgrenze von 21 Jahren auf 18 Jahre gesenkt, 1994 auf die seit dem Kaiserreich für heterosexuelle Kontakte bestehende Strafbarkeitsgrenze von 16 Jahren (Paragraf 182).

Nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten 1990 blieben auf dem ostdeutschen Beitrittsgebiet homosexuelle Kontakte weiterhin straffrei. Dort war das Sondergesetz über Homosexuelle bereits 1988 ersatzlos gestrichen worden. Am 10. 3. 1994 erfolgte eine Rechtsangleichung. Das Sonderstrafrecht für Homosexuelle wurde nun auch aus dem bundesdeutschen Strafrecht gänzlich getilgt. ANDREAS PRETZEL