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Archiv-Artikel

Gegen Standard-Stadel

Der Raum.Pfad, das Off-Theater-Projekt der RuhrTriennale, wandelte auf Abwegen: im Parkhaus, auf einem Parkplatz und weit oben auf einem Hochhaus-Dach. Mal gelang die Theater-Flucht, mal nicht

Wenn das Theaterdem Guckkasten entkommen ist, drehen die Regisseure gerne mal am Rad

VON BORIS R. ROSENKRANZ

Wenn das Theater das Theater verlässt, kann es gute Gründe dafür geben: Manchmal will das Theater einfach zeigen, wie hip es noch sein kann, wie grell und bunt und gaga. Oder das Theater will den Aufstand proben, sich aus der Klemme der Bühne befreien und spazieren gehen in einer anderen, einer frischeren Luft. Beides gut und schön, schließlich kommt es ja dort auch her, das Theater: vom Arzt, vom Friseur, von der Straße. Oder: aus Parkhäusern, von Parkplätzen und Hochhaus-Dächern.

Dort hin hat das Off-Theater-Projekt Raum.Pfad, ein Ableger der RuhrTriennale, seine Stücke nun zurück gebracht. Doch so viele Möglichkeiten die erschlossenen Flächen auch böten – wenn das Theater dem Guckkasten einmal entkommen ist, drehen die Regisseure gerne am Rad, so überwältigt sind sie von diesen Plätzen und Räumen, die sich ja so trefflich eignen, dann aber mehr schlecht als recht beansprucht werden. Von Michael Wittke zum Beispiel, der in Bochum mit „Being Jekyll & Hyde“ (René Linke) ein sperriges Stück auf die dritte Etage eines Parkhauses hievte. Der Raum an sich wäre ideal gewesen, doch Wittke wusste leider nicht, wie mit ihm umzugehen ist. Zwar ließ er Autos heulen, Menschen schreien, die Band Bohren & der Club of Gore aber wurde von Wittke in der hinterletzten Ecke postiert, so fern, dass von den Musikern nichts blieb außer müde klampfenden Puppen. Und Bohrens Musik verpuffte in der Tiefe des Raumes, gemeinsam mit dem Text, der gerne ein schauriger Thriller gewesen wäre.

Dennoch: Die Spielorte sind für die Region schon bemerkenswert genug. Schließlich hat uns der Fall Castorf den schmählichen Ruf eingebrockt, das Revier sei provinziell und verschlossen gegenüber neuen, den Standard-Stadel negierenden Mitteln des Theaters. Dass da sogar ein Hochhaus bespielt werden darf, ist in der hochneurotischen Sicherheitsgesellschaft schon sagenhaft. Endlich haben sich die Kulturzensoren in den Ordnungsämtern mal locker gemacht – die Macht des Vorzeige-Festivals RuhrTriennale wird, neben der guten Betreuung des Mülheimer Ringlokschuppens, sicher dienlich gewesen sein.

Bürokratie hin, Ordnung her. Nach Mark Sieczkareks tosender Freakshow („Spartacus III“) auf einem von Autos entblößten Parkplatz in Essen, führte der Raum.Pfad hinauf auf das Dach eines Mülheimer Hochhauses. Die Expedition „Der Mann von oben“ (Regie: Albrecht Hirche) begann schon am Fuße des schäbigen Turms: Vor einem nur Stufen und der Schweiß. Zwei spanische Military-Hostessen schwurbeln die Besucher in bester Slapstick-Manier die 20 Etagen hoch. Der Blick fällt hinaus, streift Giebel und Wipfel. Und wenn er auch nur auf Mülheim geht, auf ein herbstlich-verhangenes obendrein – die Sicht ist bedrückend imposant. Auf dem Dach angelangt hätte man dann allzu gern ein Stück erlebt, das nicht nach den Sternen greift, nicht von Raumfahrt und Mondlandung faselt. Das ist eh eines der ungelösten Menschheits-Rätsel: Dass der Mensch zumeist in die Ferne schweift, obschon ihm hier über den Dächern die depperte Welt zu Füßen liegt – mit all ihren Verhängnissen.

Das wäre die Atmosphäre gewesen für ein Stück, das diesen Moloch Großstadt thematisiert, die Verlorenheit dort, wie es unlängst Sofia Coppola in ihrem bezaubernden Film „Lost in Translation“ tat. Einerlei: Der Raum.Pfad war und ist immer noch ein kurzweiliges Abenteuer, das, sollte es fortgesetzt werden, langsam zu sich finden wird. Mit neuen Stücken und besseren Texten. Wenn ihm nicht irgendwelche Kultur-Funktionäre – der DGB lässt grüßen – schon bald den Garaus machen.

Der Mann von oben, bis 23. JuliMülheim, Hans-Böckler-PlatzInfos: 0208-993160