: Vom Sack gepackt
Das virtuose Spiel mit dem Hacky Sack ist im Schanzeviertel zur festen Institution geworden. Passanten, denen ein verirrter Ball in die Quere kommt, entwickeln erstaunlichen Ehrgeiz, den Footbag möglichst kunstvoll zurück ins Spiel zu bringen
von Marc-André Rüssau
Endlich mal ein bisschen Schanzensommer. Nach grauen Tagen bescheint die Sonne die Milchschäume in den Straßencafés. Die Piazza, die so wunderbar mediterran klingt, aber wenn es regnet auch nur ein breiter Bürgersteig ist, füllt sich. Mit Alternativen, Studenten und Sozialpädagogen, die hierher gehören – darin sind sich alle einig. Und mit Yuppies, die – auch das finden alle, die man fragt – ein bisschen überhand genommen haben.
Kostenloses Entertainment: Hacky Sack. Oder Footbag, wie der Sport richtig heißt. Zu dritt, zu viert, manchmal auch zu zehnt oder noch mehr stehen die Spieler auf der Piazza und lassen den kleinen Ball kreisen. Eine feste Institution. Nur heute hat sich noch kein Spieler blicken lassen.
„Das ist hier eine Flaniermeile geworden“
Dafür sitzen Thomas, „Tom“, und Stefan auf einer Bank am Rand der Piazza. Beide sind nicht glücklich mit der „neuen“ Schanze: „Das ist hier eine Flaniermeile geworden“, findet Stefan. „Abgefuckt“, sagt Tom knapp. Noch schlimmer als die Piazza finden Tom und Stefan die Schließung des Fixsterns. Zwar sind beide clean, und Tom ist froh, in der Schanze wenig mit der Drogenszene zu tun zu haben: „Wenn du einen schlechten Tag und genug Kohle auf Tasche hast und dann Leute von früher triffst, denkst du manchmal, kannst ja mal wieder naschen.“ Trotzdem symbolisiert die Schließung für ihn Ausgrenzung: „Randgruppen haben keinen Platz mehr, damit sich Touris auf der Piazza wohl fühlen“, klagt Stefan, der sich für den Schanzenpark engagiert, „weil das Hotel im Turm noch so eine Sache ist, die hier alles kommerzialisiert“.
Nach schwerer Stadtteilpolitik zurück zum schwerelosen Spiel mit dem Ball. Denn mittlerweile kreist er: Zwar sind nur vier Spieler da, die gehen dafür virtuos mit dem Hacky Sack um. Chris ist einer von ihnen. Er dreht sich auf einem Bein, das andere wirbelt auf und ab, der Sack hüpft auf seiner Hacke, vier-, fünfmal, dann gibt er dem tennisballgroßen Säckchen einen Tritt mit der Ferse. Der Ball findet den Weg zum nächsten Spieler. Wenn das Stoffsäckchen, das mit Granulat gefüllt ist und deswegen nicht unkontrollierbar aufhüpft, bei allen Spielern und nie auf dem Boden war, nennt sich das „Hacky“. Gespielt wird mit dem ganzen Körper außer den Händen.
Lena hockt auf einem der Steine, die die Piazza von der Straße trennen. Eigentlich würde die 26-Jährige sofort mitspielen, wenn sie nicht einen Rock trüge und hochhackige Schuhe. Dafür hat sie jetzt Zeit, das Spiel zu erklären: „Es gibt drei Grundbewegungen, mit denen du den Ball annimmst: mit dem Knie, mit der Fußaußenseite oder mit der Fußinnenseite.“ Wichtig ist, den Hacky Sack nicht wie einen Fußball wegzukicken: „Der Fuß macht zunächst die Bewegung des Balls mit, nimmt ihm so die Beschleunigung und gibt wieder einen Impuls in die Richtung, in den du ihn spielen willst.“ Wer das drauf hat – was laut Lena ziemlich schnell geht – kann sich auf spektakuläre Tricks konzentrieren, mit denen der Sack kunstvoll angenommen und weitergekickt wird. „Beim Hacky Sack ist Körpergefühl wichtiger als Ballgefühl“, sagt Lena, „jeder entwickelt dann seinen eigenen Stil.“ Je nach Temperament erinnert der an einen Tanz mit dem Ball oder eher an sportliches Bolzen. „Wie Martial Arts sieht es manchmal auch aus“, findet Lena.
Wer im Internet sucht, erfährt, dass Hacky Sack von „hack the sack“ kommt, also durchaus martialischen Umgang mit dem Spielgerät vorsieht. Erfunden hat‘s natürlich ein Ami, der John Stalberger hieß und 1977 mit der Vermarktung anfing. Aber es ranken sich um Footbag allerlei weniger kommerzielle Entstehungsmythen. Die Indianer sollen es schon gespielt haben, mit einem Lederball bei einem religiösen Ritual. Vielleicht war auch der ostasiatische Federfußball Vorbild, der schon seit Jahrhunderten gespielt wird. Ein bisschen ist Hacky Sack also wie die Piazza: Kommerziell, aber mit einem Mythos im Hintergrund.
„Es ist ein Jugendding, das sofort verbindet“
Viel wichtiger als die Wurzeln ist wohl, warum gespielt wird. „Es ist ein Jugendding, das sofort verbindet und international ist“, sagt Lena. Sie selbst hat vor einem Jahr damit angefangen, da war sie Surfen in Frankreich, und eines Abends packte ein Freund den Hacky Sack aus. Seither hat sie meistens ein Stoffsäckchen dabei: „Es ist ein kleines Sportgerät, passt in jede Tasche, und du kannst es auch alleine spielen, wenn du auf jemanden wartest.“
Chris findet vor allem das verbindende Element toll: „Das ist hier ein toller Treffpunkt. Du gehst her, und immer sind ein paar Leute da, mit denen du spielen kannst.“ Manche kennt Chris nur übers Spiel: „Die stellen sich dazu, spielen ein paar Minuten mit, bedanken sich und gehen weiter.“ Vor allem Passanten, denen ein verirrter Ball in die Quere kommt, entwickeln erstaunlichen Ehrgeiz, den Hacky Sack möglichst kunstvoll zurück ins Spiel zu bringen. Wo gibt‘s so was sonst schon? Einfach im Vorbeigehen einen neuen Sport lernen?
Wer es mal mit dem kreisenden Stoffball versuchen möchte, sollte sich zuhause einen Socken mit Reis füllen, zuknoten und ein bisschen üben. Und sich dann auf der Piazza anspielen lassen. Wenn wieder schönes Wetter ist.