: Kein Geburtstag nach Belieben
Gericht verurteilt umstrittene Praxis der Altersermittlung junger Flüchtlinge. Doch die Hamburger Ausländerbehörde bleibt stur. Helfer beklagen Behörden-Willkür und erwägen Gang nach Straßburg, GAL fordert Altersfeststellung durch Pädagogen
von Eva Weikert
Christian Moeller denkt an Straßburg. Zur Not müsse der Europäische Menschengerichtshof eine Routine der Hamburger Ausländerbehörde stoppen, die Flüchtlingsjugendliche kaltblütig ins Ungewisse schickt, so der Helfer aus Freiburg. Dort hat als bundesweit erstes das Verwaltungsgericht jetzt die hiesige Praxis zur Alterserhebung junger Asylsuchender gerügt. Es gab drei Mündeln Moellers Recht, die gegen die Übernahme ihrer vom Hamburger Amt erdachten Geburtstage durch das Land Baden-Württemberg geklagt hatten. Weil das Urteil Hamburg nicht bindet, erwägt Moeller den Weg durch alle Instanzen. Der hiesige Flüchtlingsrat wertet den Richterspruch als „Ohrfeige für das omnipotente Gebaren der Behörde“. Auch die GAL sieht einen „Erfolg“.
Die Hamburger Praxis des Ältermachens ist sogar in Südbaden berüchtigt. Dorthin wie ins gesamte Bundesgebiet darf der Stadtstaat Asyl Suchende verteilen, die älter als 16 sind und nach dem Asylverfahrensgesetz als erwachsen gelten. Jüngere muss Hamburg indes in Wohnungen unterbringen und pädagogisch betreuen lassen. Die Ausländerbehörde zweifelt routinemäßig an, wenn ein Asyl suchendes Kind sein Alter mit unter 16 angibt (siehe Kasten). „Die meisten Flüchtlingsjugendlichen kommen aus Hamburg hierher“, so der Freiburger Moeller. „Die Differenz zwischen ihrem echten und dem von Hamburgs Behörde gewählten Geburtstag beträgt bis zu vier Jahren.“
Drei von ihnen hat Vormund Moeller vor Gericht vertreten, um die Übernahme der Hamburger Daten zu unterbinden. Die aus Guinea stammenden Kläger waren 2001 ohne Papiere hier gestrandet und hatten Asyl erbeten. Dabei hatte einer als Geburtsjahr 1987 und als Alter 14 angegeben. Obwohl dies dem Eindruck der Polizei entsprach, wie das Gericht konstatiert, setzte die Behörde als „fiktiven“ Geburtstag den 11. Juni 1985 fest. Auch die zwei anderen verloren ihren Abschiebeschutz: Obgleich sie erklärten, 15 zu sein, trug ein Sachbearbeiter in die Duldungen als Geburtsjahr 1984 ein.
Das Freiburger Gericht untersagte jetzt der dortigen Asylstelle die Übernahme der Daten. „Damit würden die Persönlichkeitsrechte der Jugendlichen verletzt“, so Richter Jochen Haller. Es handele sich um von den Hamburgern „offenkundig gegriffene“ Daten, die „im Hinblick auf das Erreichen der Altersgrenze“ gewählt wurde. So sei es unmöglich, mit einer ärztlichen oder sonstigen Untersuchung ein Geburtsdatum festzustellen. Wenn der Tag nicht eruiert werden könne, müsse „ungeklärt“ im Ausweis stehen. Die Hamburger Behörde lässt das kalt: „Die Meinung eines einzelnen Gerichts“, so Sprecher Norbert Smekal, „veranlasst uns nicht, die Praxis zu ändern.“
Diese Apathie bringt Helfer in Rage: „Die Behörde schreckt nicht vor der Verletzung von Grundrechten zurück, um junge Flüchtlinge aus der Stadt zu kriegen“, rügt Burkard Werner von der Hamburger Beratungsstelle Café Exil. Kinder dürften nicht in kasernenartige Großunterkünfte abgeschoben werden. „Hier geht es um das Kindeswohl, das der Staat zu schützen hat.“ Das Café Exil und der Flüchtlingsrat erneuern ihre Forderung nach einer „Clearingstelle“ aus unabhängigen Pädagogen, die im Streit um das Alter eingeschaltet wird und den Hilfebedarf prüft.
Darauf dringt auch die GAL. „Die Sachbearbeiter der Ausländerbehörde haben nicht die Kompetenz, das Alter der Jugendlichen zu ermitteln“, rügt GALierin Antje Möller die Altersfeststellung durch bloße Inaugenscheinnahme der Abschiebebehörde. Das Freiburger Urteil belege die „Strittigkeit“ dieser Praktik. Um ihr beizukommen, so Möller, „brauchen wir aber mindestens das Urteil eines Oberverwaltungsgerichts“.
Das steht in Aussicht: Das Freiburger Regierungspräsidium hat Berufung angekündigt. Schließlich gehe es um eine Frage von „grundsätzlicher Bedeutung“.