: Schweben zwischen Extremen
Die deutschen Skispringer ermitteln am Wochenende ihre Meister – ohne den am Burn-out-Syndrom erkrankten Sven Hannawald, dessen Rückkehr noch nicht absehbar ist
OBERSTDORF taz ■ Skisprung-Bundestrainer Wolfgang Steiert wusste eine Menge zu berichten: vom Konditionslehrgang auf Usedom und von den „netten, aufgeschlossenen Leuten“ dort. Er sprach über Martin Schmitts neue Skier und darüber, dass das Sprungtraining bis jetzt sehr vom Wind beeinflusst war. Doch das Gespräch musste natürlich auch auf Sven Hannawald kommen. Darüber will er eigentlich gar nicht reden: „Sven hat mich gebeten, nicht zu viel in der Öffentlichkeit zu sagen.“
Wenn die deutschen Skispringer und die nordischen Kombinierer in Oberstdorf heute und morgen ihre nationalen Meister küren, wird Hannawald nicht dabei sein. Er wird auch am Sommer-Grand-Prix nicht teilnehmen. Und im Winter? Der 29-Jährige befindet sich immer noch in einer Klinik. Seit Ende April ist er dort, seit diagnostiziert worden ist, dass Deutschlands einstiger Vorzeigespringer am Burn-out-Syndrom erkrankt ist. Sein Trainer Steiert weicht den Fragen, ob Hannawald überhaupt noch eine realistische Chance hat, bis zum Winter gesund zu werden, beharrlich aus. „Das ist zur Zeit nicht absehbar. Das ist eine Entscheidung der Ärzte und Therapeuten“, sagt er. „Gesund werden“ solle Hannawald, um „irgendwann mal wieder den Sport ausüben zu können“. Steiert ist in die Therapie mit eingebunden, berichtet er. Und: „Mit Sicherheit hat es schon Fortschritte gegeben.“ Die Interpretation von Steierts Worten ist jedem selbst überlassen.
Dass niemand wissen soll, ob und wenn ja, wann Hannawald wieder Ski springen will, ist einerseits verständlich, schließlich könnten Prognosen des Trainers den sensiblen Athleten unter Druck setzen. Und die Äußerungen des Skiverbandes, dass Hannawald zu aller erst einmal gesund werden müsse, bevor man an Sportliches denkt, sind löblich. Andererseits: Hannawald hat eigentlich jetzt schon zu viel Zeit verloren, als dass er mit ausreichend gutem Training im Rücken im Winter starten könnte. Und erreicht er nicht die Weltspitze, dann wird er wieder grübeln, wird Selbstvertrauen verlieren. Seine psychischen Probleme könnten dann wieder aufbrechen.
Steiert sagt: „Ganz theoretisch: Wenn er Ende August käme, könnte man es schaffen, dass er im Winter nicht bei allen, aber bei einigen Springen dabei ist.“ Aber was würde das einem Menschen wie Hannawald, der sich viele Jahre nur über den Erfolg definiert hat, der zwischen den Extremen geschwebt hat, helfen. Ein „bisschen Skispringen“ geht für ihn nicht. Dazu kommt: Was Steiert sagt, ist Theorie. Und so recht überzeugend wirkt der sonst eher optimistisch eingestellte Coach bei diesen Worten auch nicht.
Der Krankheitsfall Hannawald ist ein sensibles Thema. Martin Schmitt, der auf Reisen oft das Zimmer mit ihm teilte, sucht lange nach Worten, ehe er erklärt: „Das hat uns alle überrascht. Wir alle wünschen ihm alles Gute, dass er bald wieder fit wird. Mehr können wir nicht tun, wir müssen uns ja auch auf unsere Saison vorbereiten.“ Das klingt ein bisschen verlegen. Wenn Hannawald sich das Bein gebrochen hätte, wäre es einfacher, darüber zu reden, das merkt man Schmitt deutlich an. Dass jemand sich zu einer psychischen Krankheit bekennt, ist im Sport trotz der jüngsten Fälle – dem an Depression erkrankten Sebastian Deisler und dem ebenfalls wegen Burn-out-Syndrom behandelten Jan Simak – immer noch überaus selten.
Kontakt zu Hannawald gebe es nicht, die Mannschaft werde durch die Trainer informiert. Ab und zu schreiben sich Hannawald und Schmitt SMS-Nachrichten: „Aber da kann man ja auch nicht viel rauslesen“, sagt Schmitt, grinst verlegen und zuckt mit den Schultern. Auch Michael Uhrmann ist bemüht, die richtigen Worte zu finden. „Ich wünsche ihm viel Glück. Wenn ich jetzt mehr sagen würde, dann wäre es ihm gegenüber nicht fair, das ist seine private Sache.“ KATHRIN ZEILMANN