JOSCHKA FISCHERS CHINA-POLITIK IST KOMPLEX UND ZUKUNFTSWEISEND
: Mehr als Menschenrechte im Blick

Seit Beginn der rot-grünen Koalition funktioniert in der Bundesregierung eine Arbeitsteilung in Sachen China-Politik: Kanzler Schröder spricht nur von Wachstum und Wirtschaftschancen, Außenminister Fischer kritisiert die Menschenrechtsverletzungen. Von der Arbeitsteilung profitieren beide. Wobei Schröder bislang weit mehr an China interessiert war, kam er doch regelmäßig mit Milliardenaufträgen nach Hause, während Fischer nicht einen einzigen politischen Gefangenen aus Peking mitbringen konnte.

Grundsätzlich ist gegen die Arbeitsteilung in Berlin nichts einwenden: Wirtschaftsaustausch mit China ist ebenso notwendig wie die Kritik am chinesischen Umgang mit Dissidenten, Tibet oder der Todesstrafe. Der Wahrnehmung Chinas in Deutschland aber haben die verteilten Rollen von Schröder und Fischer erheblich geschadet: Denn selten ist von beiden eine differenzierte und ausgewogene Betrachtung der Volksrepublik in die Öffentlichkeit vorgetragen worden. Dieser Komplexität haben sich Kanzler und Außenminister bisher immer entzogen – entsprechend bieder und neugierlos teilt sich die deutsche Debatte in die Lager von Peking-Fans in der Wirtschaft und China-Kritikern in den Menschenrechtsorganisationen.

Umso erfreulicher sind die Anregungen für eine neue China-Diskussion, die Fischer jetzt in Peking gegeben hat. Wichtiger als Lob oder Tadel für die chinesischen Kommunisten ist aus deutscher Sicht allemal das Verständnis für die globalen Konsequenzen ihres Handelns. Noch hat keiner erforscht, was es für Umwelt und Rohstoffverbrauch bedeutet, wenn eine breite chinesische Mittelschicht die gleichen Konsumbedürfnisse ausleben kann wie wir.

Fischer jedenfalls ist soweit noch ein Linker, dass er sich über diese Perspektive freut und ihr neuerdings sogar subversive Elemente abgewinnen kann. Führt sie doch zurück zur alten, existenzbegründenen Diskussion der Grünen über die Grenzen des Wachstums. Mit Kommunisten, dass weiß man noch aus den Siebzigerjahren, ist diese Diskussion besonders schwer zu führen, und für China deshalb umso notwendiger.

GEORG BLUME