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Archiv-Artikel

Im Suff verstoßen, nüchtern geschieden

Indische Musliminnen wehren sich gegen Scheidungsrecht, das unter dem Deckmantel religiöser Autorität Frauen zum Spielball von Männern macht, die sich ihrer Gattin entledigen wollen. Konflikt um Fehlverhalten eines Mannes im Suff löste Debatte aus

AUS DELHI BERNARD IMHASLY

Sher Mohammed geriet mit seiner Frau Najma vor einem Jahr in einen Streit. Er war betrunken und schleuderte ihr schließlich dreimal das Wort „Talaq!“ entgegen. Das heißt „Scheidung“, und gemäß der vorherrschenden Interpretation des islamischen Rechts in Indien bedeutet die dreimalige Wiederholung durch einen Ehemann, dass er damit von seiner Frau geschieden ist. Die Verstoßene kann nicht einmal ihre Koffer packen, denn sie verliert auch das Recht auf ihren Anteil an ehelichen Gütern.

Am folgenden Tag konnte sich Mohammed, wieder nüchtern, an nichts erinnern, und die Eheleute blieben zusammen. Doch hatten sie nicht mit den Nachbarn in ihrem Dorf Bhadrak im Bundesstaat Orissa gerechnet. Diese erinnerten sich an das lautstarke „Talaq!“ und erinnerten Sher Mohammed daran. Falls er Najma wieder heiraten wolle, müsse sie sich zuerst mit einem andern Mann verheiraten, sich von diesem scheiden lassen, und dann erst dürfe sie Mohammed wieder heiraten.

Das Paar kümmerte sich nicht darum und lebte mit seinen vier Kindern weiter im gemeinsamen Haushalt. Doch dann spitzte sich der Konflikt mit der Muslimgemeinde zu. Im Mai drangen Leute in das Haus der Familie, zwangen Najma zur Flucht und Mohammed zur Unterschrift unter einen Schrieb, wonach er von ihr geschieden sei.

Eine Sozialarbeiterin gab Najma Unterschlupf und wandte sich an die Nationale Frauenkommission. Die schaltete nun die Gerichte ein, um der Frau zu ihrem Recht zu verhelfen. Mehrere Organisationen forderten auch den „All India Muslim Personal Law Board“ (AIMPLB), eine Kommission von vierzig Ulemas verschiedener Glaubensrichtungen, zu einem definitiven Urteil über eine Praxis auf, die Frauen zum Spielball von Männern macht, die sich ihrer Gattin entledigen wollen.

Doch nun geriet dieser Rat alter Männer – er zählt nur eine Frau – unter Beschuss. Denn statt die Gelegenheit für eine Reform dieser Praxis zu ergreifen, zog sich der AIMPLB am 4. Juli aus der Affäre, indem er statt eines Urteils eine Aufklärungskampagne versprach. Die Talaq-Scheidung sei ein „soziales Übel“, doch wie alle Scharia-Gesetze „göttlich inspiriert“. „Wir haben nicht das Recht, die Scharia zu verändern. Das dreifache Talaq bleibt bestehen“. Für muslimische Frauengruppen war dies der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Doch ihre Position ist schwach. Der Staat wagt es nicht, das heikle Personenrecht der Muslime anzurühren, um sich nicht dem Vorwurf der Diskriminierung religiöser Minderheiten auszusetzen. Dies macht den willkürlich zusammengesetzten Beirat des AIMPLB zu einer quasigerichtlichen Instanz.

„Solange wir Frauen in den Angelegenheiten der Gemeinschaft keinen größeren Anteil nehmen können“, sagte Nazneen Barkath von der „All India Progressive Muslim Conference“ dem Magazin Outlook, „werden Männer über uns Frauen zu Gericht sitzen.“ Die Zurückhaltung des Staats ist umso erstaunlicher, als das dreifache „Talaq!“ von der Scharia, einer Sammlung nachkoranischer Rechtspraktiken, aber nicht vom Koran sanktioniert wird. Im Gegenteil, sagt der liberale Theologe Faizur Rahman, der Prophet Mohammed selbst sei erzürnt gewesen, als ihm ein solcher Fall unterbreitet wurde. Er habe dem Missetäter vorgeworfen, er spiele mit dem Buch Allahs.

Es gibt eine Reihe islamischer Staaten, die inzwischen den Talaq-Brauch abgeschafft haben oder für dessen In-Kraft-Treten Wartefristen und Konsultationen unter den Ehepartnern vorschreiben. Indiens Zivilgerichte halten sich jedoch immer zurück, wenn Frauen bei ihnen ihr Recht einforderten. Die Richter berufen sich dabei auf ein koloniales Gerichtsurteil von 1897, das Gerichten eine eigene Koraninterpretation verbot. Diese müssten sich stattdessen auf die „Autorität und das Alter“ religiöser Kommentatoren stützen. Genau darum geht es, meinen auch Frauenrechtlerinnen – um die „Beendigung patriarchalischer Praktiken unter dem Deckmantel religiöser Autorität“.