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Archiv-Artikel

Aids und HIV bekommen zunehmend ein weibliches Gesicht

Bei ungeschütztem Sexualverkehr werden Frauen doppelt so häufig infiziert wie ihre Partner, warnen Frauenorganisationen auf der Konferenz in Bangkok

BANGKOK taz ■ Die tödliche Immunschwächekrankheit bekommt ein zunehmend „weibliches Gesicht“, warnten verschiedene Frauenorganisationen auf der Bangkoker Weltaidskonferenz.

In ihrem neuen Bericht „Confronting the Crisis“ dokumentierten sie, welch neue und noch gefährlichere Wendung Aids genommen hat: Die Infektionsrate sei vor allem bei jüngeren Frauen und Madchen im Alter zwischen 15 und 24 Jahren angestiegen, sagte Noeleen Heyzer vom UN-Entwicklungsfonds für Frauen. Weltweit sind heute annähernd 50 Prozent der HIV-Infizierten Frauen, im Jahr 1997 waren es 41 Prozent. Heikel ist die Lage der Frauen und Mädchen in Kriegs- und Konfliktgebieten, wo sie Vergewaltigungen, Verschleppung und Menschenhandel ausgesetzt sind. Aber auch dort, wo das gesundheitliche und wirtschaftliche System zusammengebrochen sei oder wo die Mädchen früh in eine Ehe gezwungen würden, werde die Lage immer problematischer, so Heyzer weiter. Viele Mädchen würden aus der Schule genommen oder müssten ihre Arbeitsstelle verlassen, um sich um die Kranken und Sterbenden zu kümmern.

Die Last tragen somit ausschließlich die Frauen. Besonders schlimm sei die Situation für Frauen im Süden Afrikas. In den Ländern unterhalb der Sahara lebten rund 77 Prozent aller infizierten Frauen. „Bildung ist ein absolutes Muss für alle Mädchen und Frauen“, erklärte die Chefin des UN-Bevölkerungsfonds, Thoraya Obaid. Das oft propagierte Prinzip des „ABC“ („abstinence, being faithful, condoms“ – zu Deutsch: Enthaltsamkeit, Treue und Kondome) reiche dabei nicht aus. Denn oft seien die Frauen von ihren Männern wirtschaftlich abhängig und viele Männer ließen sich von ihren Frauen partout nicht von der Notwendigkeit, Kondome zu gebrauchen, überzeugen. Zwar machen die Forschungen über Vaginalcremes, die das HI-Virus abblocken oder abtöten sollen, Fortschritte. Doch ein wirklich sicheres und effektives Produkt wird erst in fünf bis zehn Jahren auf dem Markt sein, sagten Experten auf der Welt-Aids-Konferenz.

Bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr, so warnen die Frauenorganisationen weiter, würden Frauen doppelt so leicht infiziert wie Männer. Die zunehmende Aidsgefahr für das weibliche Geschlecht war auf diesem Gipfel so etwas wie ein Weckruf, sagt Noeleen Heyzer. Dass Aids nicht nur ein gesundheitliches, sondern auch ein politisches und gesellschaftliches Thema sei, sehe man daran, dass es in Bangkok auf der Agenda gestanden habe. Aber je länger man mit internationaler Hilfe warte, desto drastischer werde sich die tödliche Immunschwäche ausbreiten.

Bereits zum Auftakt der Konferenz hatte UN-Generalsekretär Kofi Annan gewarnt, dass sich Asien an einem Wendepunkt befinde. Hier leben derzeit bereits siebeneinhalb Millionen HIV-Infizierte. Und das sind nur offizielle Schätzungen.

Deswegen fordert nicht nur Noeleen Heyzer eine neue Bereitschaft der internationalen Gemeinschaft und der Politik, Initiativen in den betroffenen Ländern zu unterstützen. Das Problematische daran: Selbst wenn Gelder bereit gestellt werden, würden sie die Betroffenen oft nicht erreichen. Das gelte selbst für ihre eigene Organisation, klagt sie. Die Debatte um „Frauen und HIV-Infektion“ soll auf jeden Fall auf der nächsten Welt-Aids-Konferenz in Toronto in 2006 eines der Hauptthemen sein.

NICOLA GLASS