: Unmögliche Lieben
Mexiko unter Präsident Calderón ist das Gegenmodell zum reformerischen Aufbruch in Südamerika. Zwei neue Bücher porträtieren hoffnungsvolle und marginalisierte Akteure der Linken
VON WOLF-DIETER VOGEL
Der Aufstand der Zapatisten, die Rebellion von Oaxaca, die Mobilisierungen des Präsidentschaftskandidaten Andrés Manuel López Obrador – kaum ein Land hat in der jüngsten Geschichte so viele experimentierfreudige linke Bewegungen hervorgebracht wie Mexiko. Im südlichen Bundesstaat Chiapas basteln Indigene seit 15 Jahren an einer gerechten Gesellschaft und kümmern sich dabei wenig um Gesetz und staatliche Ordnung; in Oaxaca kontrollierte 2006 ein Bündnis von Lehrern, Linksradikalen und Studenten über Monate hinweg die Landeshauptstadt; in Mexiko-Stadt belagerten im selben Jahr Zigtausende sechs Wochen lang die Innenstadt, um gegen den mutmaßlichen Wahlbetrug gegen López Obrador zu protestieren.
Der Nürnberger Politikwissenschaftler Albert Sterr hat viel Wissenswertes über diese Initiativen, Parteien und Bewegungen zusammengestellt. Wer die 210 Seiten seines akademisch gehaltenen Buchs „Mexikos Linke – Ein Überblick“ liest, kennt danach die wichtigsten Fakten über die Opposition des Landes. Sterrs „Who is who“ beschreibt, wer da im aufständigen Oaxaca auf die Barrikaden gegangen ist und warum die Bewegung gegen die Privatisierung der Erdölindustrie so bedeutsam ist.
Detailliert beschäftigt sich Sterr mit López Obrador und der linkszentristischen Partei PRD, für die der Politiker als Präsidentschaftsanwärter im Wahljahr 2006 ins Rennen gegangen war. Für seine Kritiker ein „populistischer Caudillo“, wurde der Politiker für viele Linke zum Hoffnungsträger: Stadtteilgruppen, Gewerkschafter und Intellektuelle erhofften sich von einem PRD-Präsidenten mehr Spielraum. Ob diese Hoffnung berechtigt war, konnte López Obrador nie beweisen: Nach offizieller Auszählung unterlag er seinem konservativen Konkurrenten Felipe Calderón um wenige Stimmen. Seither mobilisiert er mit einer selbst ernannten „legitimen Regierung“ gegen Erdölprivatisierung oder Freihandelsvertrag. Dass er bestenfalls ein „national-populärer“ sozialdemokratischer Reformer ist, stellt auch Sterr nicht infrage. Doch für den Autor ist klar: Die um den Politiker organisierten Bündnisse sind „diejenigen Kräfte, welche breit angelegte Protest- und Widerstandsbewegungen gegen den neoliberalen Kurs der Regierung auf die Beine bringen können“.
Das klingt, wie manche Einschätzung Sterrs über Mexikos Linke, sehr optimistisch. Dabei hat die Niederlage von 2006 schwer auf die Stimmung der parlamentarischen Linken geschlagen. Ging zunächst eine Million Menschen gegen den mutmaßlichen Wahlbetrug auf die Straße, so verringerte sich die Zahl schnell. Und erst jüngst passierte, was die Beschreibungen des Autors über die zerstrittenen Strömungen in und um die PRD bereits nahelegen: López Obradors Bewegung löste sich von der Mutterpartei, die von rechten Sozialdemokraten dominiert wird, die etwa in Sachen Erdölprivatisierung keine eindeutig ablehnende Haltung einnehmen.
Was ist in Mexiko heute „links“?, fragt Sterr und kritisiert das von deutschen Zapatistenfans geschaffene Bild. Hierzulande würden mit der mexikanischen Linken in erster Linie die aufständischen Indigenen identifiziert, „weit weniger die Rebellion in Oaxaca oder andere soziale Bewegungen“, die PRD fungiere höchstens als Negativfolie. Diese Meinung führt den Autor dazu, manch linkes Grüppchen wichtiger zu reden, als es ist.
So vermittelt sein Detailwissen zwar ein interessantes Bild über diverse Guerillagruppen, dass diese Organisationen jedoch „ihre politische Marginalisierung hinter sich lassen konnten“, wie Sterr behauptet, übertreibt die Bedeutung der teilweise nach kruden ML-Mustern agierenden Guerilleros, von denen die meisten kaum jemand in Mexiko kennen dürfte.
Realistisch schätzt der Autor dagegen die Rolle der Zapatisten selbst ein. Den indigenen Rebellen wirft er zurecht vor, sie hätten sich durch ihre antiparlamentarische Position gegenüber López Obradors Wahlspektakel „bis auf weiteres ins politische Abseits manövriert“ und sich in „schlechtester sektiererischer Manier“ auch aus anderen bedeutenden Mobilisierungen ferngehalten. Leider räumt er dem realen Erfolgen der Zapatisten wenig Platz ein. Dabei haben die Aufständischen in ihrem Einflussgebieten in Chiapas große Fortschritte erzielt, etwa in der Beteiligung von Frauen in politischen und sozialen Prozessen oder im Aufbau eigener Schulen und Krankenhäuser.
Über diese Aspekte sprach die mexikanische Autorin Laura Castellanos mit dem Zapatistensprecher Subcomandante Marcos. In ihrem Interviewbuch „Kassensturz“ will sie „dem Zapatismus zum Zeitpunkt seiner größten Isolierung“ einen Raum geben. Und so berichtet der Dauervermummte über den Alltag in den Gemeinden. Etwa über die Gewalt in den Familien und den Beschluss der Frauen, den Alkoholkonsum zu verbieten. Oder über paramilitärische Angriffe und die täglichen Schwierigkeiten, eine „horizontale, einschließende und nichtkorrupte Politik zu betreiben“.
Noch immer liest man zwischen den Zeilen des „Sub“ die Verbitterung darüber, dass ein von den Zapatisten unterstützter Gesetzentwurf über die Rechte der indigenen Bevölkerung im Jahr 2001 im Parlament nicht verabschiedet wurde. Auch PRD-Abgeordnete hatten gegen die Vorlage gestimmt, und nicht zuletzt deshalb stehen die Rebellen heute radikal gegen jeden Versuch, auf parlamentarischem Weg ihre Interessen durchzusetzen. Die neue Generation, die seit dem zapatistischen Aufstand von 1994 herangewachsen ist, so erklärt er, erwarte nichts mehr von der Regierung und politischen Parteien. Sie dulde keine Einmischung, „selbst nicht von Leuten, die uns helfen wollen“.
Leider scheint Castellanos überfordert, diese so nachvollziehbare wie umstrittene Haltung zu hinterfragen und eine spannende Debatte zu provozieren. Ihre beinahe unterwürfige Bewunderung für Marcos macht sie handzahm, wo Nachhaken angesagt wäre. Folglich bleiben beispielsweise Antworten über das Verhältnis der Rebellen zu Staatsmännern wie dem indigenen Bolivianer Evo Morales oder Venezuelas Präsident Hugo Chávez oberflächlich. Stattdessen greift Castellanos auf Klischees wie das des Frauenhelden Marcos zurück: Was er von der US-Schauspielerin Angelina Jolie halte, fragt sie, und erhält die entsprechende Antwort: „Ich liebe sie mit blinder Leidenschaft. Aber es ist leider eine unmögliche Liebe.“
Albert Sterr: „Mexikos Linke. Ein Überblick“. ISP Verlag, Köln 2008, 216 Seiten, 22 Euro Subcomandante Marcos und Laura Castellanos: „Kassensturz. Interviews mit Laura Castellanos“. Edition Nautilus, Hamburg 2008, 160 Seiten, 13,90 Euro