Gezielte Gewalt gegen Frauen in Darfur

Vergewaltigung als Kriegsstrategie: Amnesty international untersucht in einem neuen Bericht die Rolle sexueller Gewalt. Dabei wird auch die Völkermord-Komponente des Feldzugs der arabischen Milizen deutlich. Das soziale Gefüge wird zerstört

VON DOMINIC JOHNSON

„Das Dorf wurde nachts angegriffen“, berichtete die 50-jährige M., eine Frau des Fur-Volkes in der westsudanesischen Region Darfur. „Die Araber kamen in Autos und auf Pferden. Sie sagten: Jede schwarze Frau muss getötet werden, auch die Kinder.“ Eine Frauengruppe des Massalit-Volkes erinnerte sich an einen anderen Angriff der regierungstreuen Dschandschawid-Miliz in Darfur: „Ihr Schwarzen habt das Land verdorben“, hätten die Milizionäre gesagt. „Wir sind hier, um euch zu verbrennen. Wir werden eure Männer und Söhne töten und mit euch schlafen. Ihr werdet unsere Frauen sein.“ In einem Angriff auf ein weiteres Massalit-Dorf in Darfur, erzählte der geflohene Dorfchef, wurden die Milizionäre von Araberinnen begleitet, die die Angreifer anfeuerten. „Das Blut der Schwarzen fließt wie Wasser“, hätten die Araberinnen gerufen. „Wir nehmen ihren Besitz, wir nehmen ihr Land, und unser Vieh wird auf ihrem Land sein. Die Macht von al-Baschir (Sudans Präsident) gehört den Arabern, und wir werden euch töten, ihr Schwarzen“.

Diese Aussagen von Darfur-Flüchtlingen im Tschad stehen in einem neuen Bericht über den Krieg in Darfur, den amnesty international heute veröffentlicht. Der Bericht konzentriert sich auf sexuelle Gewalt als Kriegsmethode der Regierungstruppen und arabischen Milizionäre, die seit Frühjahr 2003 über 1,2 Millionen Menschen in Darfur vertrieben haben, zumeist Angehörige der Völker der Fur, Zaghawa und Massalit. In dieser bisher vernachlässigten Komponente des Darfur-Krieges wird deutlich, dass hier Praktiken zur Anwendung kommen, die sonst aus organisierten Völkermorden bekannt sind: die kollektive ethnische Stigmatisierung der zivilen Opfer und der Versuch, mit systematischen Massenvergewaltigungen die Identität einer als Feind angesehenen Volksgruppe zu zerstören.

„Frauen sind summarisch und unterschiedslos getötet, bombardiert, vergewaltigt, gefoltert, entführt und vertrieben worden“, fasst amnesty zusammen. Das Gleiche gelte für Kinder, vor allem Mädchen. Amnesty bereiste für seinen Bericht Darfur-Flüchtlingslager im Tschad und sammelte über 500 Einzelgeschichten in 110 Interviews, die zwecks Verifizierung miteinander abgeglichen wurden.

„Frauen in Darfur sind Hauptopfer der Gewalt und sind verletzlicher, weil sie für die Kinder verantwortlich sind“, analysiert amnesty. „Sie bleiben meistens in der Nähe der Dörfer, während die Männer weiter weg auf das Vieh aufpassen. Selbst vor der Eskalation des Konflikts und den systematischen Angriffen auf Zivilisten in Darfur gab es kein Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern in vielen ländlichen Dörfern: Es gibt eine hohe Rate von Landflucht in Darfur wegen Wüstenbildung und mangelnder Entwicklung.“ So seien viele Frauen zu Hause geblieben, während die Männer wegzogen. Es waren dann die Männer, die 2003 die bewaffneten Darfur-Rebellionen bildeten, während Frauen und Kinder schutzlos zurückblieben.

Kulturelle Faktoren verschlimmern die Folgen der systematischen Vergewaltigung. Die meisten westsudanesischen Frauen sind beschnitten, sodass das Risiko schwerer innerer Verletzungen und der Übertragung von Geschlechtskrankheiten höher ist. Zudem herrscht der Glaube vor, aus Vergewaltigungen könnten keine Kinder gezeugt werden, sondern nur aus freiwilligem Sex. Wenn ein Vergewaltigungsopfer schwanger wird, wird die Frau schief angesehen und verstoßen, auch mit Kind.

So zerstört die Vergewaltigung als Kriegsstrategie das soziale Gefüge der Darfur-Völker. Dies dürfte in der internationalen Diskussion einen weiteren Beleg dafür darstellen, dass in Darfur ein Genozid stattfindet. Belastend für Sudans Regierung kommt hinzu, dass sich nach den Angaben der Opfer viele der arabischen Milizionäre in ihrem Kampf zur Vertreibung der „Schwarzen“ auf Sudans Präsidenten Omar al-Baschir berufen.

Daraus Forderungen nach Sanktionen oder Strafmaßnahmen abzuleiten wird jedoch schwer. Denn fast alle geschilderten Vorfälle stammen aus dem Jahr 2003. Damals wütete der Krieg in Darfur ungleich schlimmer als heute, aber die Welt ignorierte den Sudan. Heute sind die Vertreibungen größtenteils abgeschlossen – und nun erst wacht die internationale Gemeinschaft allmählich auf.