Entwicklungsziele in weite Ferne gerückt

Die Vereinten Nationen werden viele ihrer Vorgaben bei der Bekämpfung der Armut in der Welt nicht einhalten. Die Spaltung zwischen Fortschritt und Rückschritt nimmt sogar weiter zu. Vor allem die Staaten im südlichen Afrika fallen weiter zurück

AUS BERLIN HANNES KOCH

Die Ziele der Vereinten Nationen für die soziale Entwicklung der Menschheit sind größtenteils nicht einzuhalten. Nur drei der „Millenniumziele“ – Halbierung des Anteils der Armen an der Weltbevölkerung, Gleichstellung der Geschlechter und eine bessere Wasserversorgung – werden wie geplant bis 2015 erreicht. Vier weitere Parameter wird die Weltgemeinschaft dagegen teils weit verfehlen: die Verringerung des Hungers und der Kindersterblichkeit, wesentliche Fortschritte bei der Primarschulbildung und der Sanitärversorgung. Das sind die Ergebnisse des „Berichts über die menschliche Entwicklung 2004“ des UNDP, des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen

Von diesem Trend abgesehen nimmt der Unterschied zwischen Fortschritt und Rückschritt auf der Welt zu. „Es zeichnet sich immer mehr ab, dass zwei grundlegend verschiedene Kategorien von Ländern entstanden sind“, schreibt die UNDP: „Länder, die von der Entwicklung profitiert haben, und Länder, die den Anschluss verpasst haben.“ Zur profitierenden Gruppe gehören die Länder Ost- und Südasiens, der Pazifikraum und teilweise Lateinamerika. Keine Chance auf einen angemessenen Fortschritt haben dagegen die meisten Menschen in Afrika mit Ausnahme der nordafrikanischen Mittelmeer-Staaten. Auch in den südlichen Nachfolge-Ländern der ehemaligen Sowjetunion – Kasachstan und seine Nachbarn – sieht es düster aus. Ein Indiz für die gespaltene Entwicklung besteht darin, dass die Menschen in 46 Staaten dieser Erde im Durchschnitt ärmer sind als 1990. In 25 Ländern leidet die Bevölkerung mehr unter Hunger als vor zehn Jahren. Dass die Globalisierung der 1990er-Jahre dennoch besser ist als ihr Ruf, liegt vor allem an dem hohen Wirtschaftswachstum in China und Indien. Durch den rasch zunehmenden Wohlstand ist dort die Zahl der absolut Armen, die weniger als einen Dollar am Tag verbrauchen, um knapp 200 Millionen Menschen gesunken. Nur deshalb ist das UN-Ziel, den Anteil der absolut Armen an der Weltbevölkerung bis 2015 zu halbieren, nicht in Gefahr. Im Gegenteil: Die Staaten Ost- und Südasiens werden es schon einige Jahre früher erreichen. In Afrika südlich der Sahara und in manchen früheren Sowjetstaaten wird das Armutsziel aber zum Teil drastisch verfehlt. Auch in Mittel- und Osteuropa nimmt die Polarisierung der Bevölkerung zu und der Anteil der Armen steigt – wenn auch ausgehend von einem niedrigeren Niveau.

Dieses divergierende Bild ergibt sich mit unterschiedlichen Nuancen bei allen sieben Zielen. Geht die Entwicklung im heutigen Tempo weiter, nimmt der Anteil der Hungernden an der Bevölkerung in allen Kontinenten bis 2015 um die Hälfte ab, wobei es in Südasien etwas länger dauert. In den arabischen Staaten und Afrika dagegen wächst der Anteil der Hungernden.

Zu einem ähnlichen Befund kommt die UNDP beim Ziel, allen Kindern eine vollständige und gute Primarausbildung zukommen zu lassen. Afrika ist Schlusslicht. Beim heutigen Tempo wird das Millenniumziel dort erst im Jahr 2129 erreicht.

Bei den Parametern Kindersterblichkeit, Zugang zu Wasser und Sanitärversorgung ist die Situation allgemein am schlechtesten. Nicht nur die meisten Staaten Afrikas verfehlen das Jahr 2015, sondern auch Ostasien, Lateinamerika und die arabischen Staaten kommen erst um 2100 auf den Stand, den die UNO für die nächste Dekade angepeilt hat.

Der Wirtschafts- und Sozialrat der UNO (Ecosoc) benannte unlängst die wichtigsten Ursachen der mangelnden Entwicklung. Dazu gehören die Handelsbarrieren der reichen Staaten und niedrige Rohstoffpreise ebenso wie die steigende Schuldenlast der armen Länder und die rückläufige Entwicklungshilfe aus dem Norden.

Laut Ecosoc wäre die Verdopplung der bisherigen offiziellen Entwicklungshilfe auf 100 Milliarden Dollar pro Jahr notwendig, um die Millenniumziele zu erreichen.