: Kein Blattschuss, diesmal
In der ersten Bundesliga berappelt sich Hannover und erzielt gegen Stuttgart ein 3 : 3. Die Diskussion um die Qualitäten von Trainer Dieter Hecking und dessen Demission hat sich damit fürs Erste erledigt
VON ROGER REPPLINGER
Den Bundesligisten Hannover 96 umgibt eine seltsame Unruhe. Der Boulevard der Landeshauptstadt Niedersachsens ist noch hektischer, ungerechter als anderswo. Die Nervosität hat auch etwas mit dem Geschäftsführer und Vorstandsvorsitzenden Martin Kind, der nur recht mäßig kommuniziert. Das hat zur Folge, dass bei 96 Trainer sehr schnell fliegen.
Bild versucht seit Beginn der Saison, Trainer Dieter Hecking abzuschießen. Seit der 3 : 1-Niederlage bei Energie Cottbus machen auch die bürgerlichen Zeitungen mit. Vor dem Spiel gegen den VfB Stuttgart hatte es für Hecking schlecht ausgesehen.
Gegen den VfB spielte Hannover vor 31.100 Zuschauern 3 : 3 (2 : 2). Nach 22 Minuten führte der VfB 2 : 0, und Hannovers Abwehr war erbärmlich. „Nach dem 0 : 1 hatten wir zwei Chancen, die wir nicht nutzten“, sagte Hecking nach dem Spiel. Doch zunächst machte der VfB das 2 : 0. Bei beiden Toren sahen die 96-Innenverteidiger Mario Eggimann und Frank Fahrenhorst nicht gut aus.
„Nach dem 0 : 2 dachten viele: Heute kriegen sie den Blattschuss“, sagte Hecking. „Blattschuss“, das bezog sich nicht nur auf die Mannschaft, sondern auch auf ihn. Hätte der VfB im Stil der ersten zehn Minuten weitergemacht, wäre der Trainer am Sonntag entlassen worden. So gab’s Pfiffe im Stadion, aber keine „Hecking raus“-Rufe.
Hecking nahm dann den überforderten Eggimann vom Platz, der seinem Trainer den Handschlag halbwegs verweigerte. Hecking nahm ihn dafür in Schutz: „Schade, dass ich den Wechsel vornehmen musste, es trifft dann jemand, der nicht seinen besten Tag hat. Darüber war Mario nicht glücklich, darüber ist niemand glücklich.“
Aber es brachte Glück. Christian Schulz spielte nun Innenverteidiger, was er nicht gern tut, aber gut kann. Jan Rosenthal rückte für ihn ins Mittelfeld. Fahrenhorst, der sich von Eggimanns Unsicherheit hatte anstecken lassen, ließ sich nun von Schulz’ Sicherheit inspirieren. Der Spielaufbau wurde besser und Hannover stärker. Man kämpfte.
Deshalb war nach dem Spiel viel von „Moral“ die Rede, etwa beim 39-jährigen Michael Tarnat, dem ältesten Feldspieler der Bundesliga: „Wir haben Moral gezeigt. Der Punkt ist nicht das Entscheidende. Wichtig ist, dass wir nach dem Rückstand wieder gekommen sind.“ Zwei Standards brachten 96 ins Spiel zurück: Nach einem Eckball von Neuverpflichtung Jacek Krzynowek machte Jiří Štajner den Anschluss (43.). Noch vor der Pause zirkelte Krzynowek einen direkten Freistoß über die Mauer, unhaltbar für Jens Lehmann, ins VfB-Tor. Der eingewechselte Mikael Forssell brachte Hannover kurz vor Schluss in Führung (85.). Doch VfB-Kapitän Thomas Hitzlsperger machte den Ausgleich (87.).
Forssell macht die Frage nach dem Trainer fassungslos: „Er soll natürlich unser Trainer bleiben.“ Hannover ist ein nervöser Verein. Hecking ein ruhiger Mann. Das erscheint denen, die mit der Nervosität anderer Geld verdienen, als Widerspruch.