piwik no script img

Archiv-Artikel

Der verpulverte Künstler

Der Maler und Kunstprofessor Jörg Immendorff hat seinen langjährigen Kokainkonsum gestanden. Seit gestern steht er trotz schwerer Krankheit vor Gericht. Der Richter zeigte sich unbeeindruckt

AUS DÜSSELDORF PASCAL BEUCKER

Die Altstadt ist verregnet. Ein paar Junkies sind auf der Suche nach Stoff. An der Ecke steht ein Wagen des Düsseldorfer Ordnungsamts. Unweit des legendären „Kommödchens“, in dem einst die spitzzüngigen Kay und Lore Lorentz der Gesellschaft den Spiegel vorhielten, strömen Schaulustige und Journalisten in das Landgericht an der Mühlenstraße. Es ist angerichtet im Café Deutschland, eine Aufführung der besonderen Art angekündigt: Sex & Crime. Prozessbeginn gegen den Künstler Jörg Immendorff.

Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft: Immendorff soll sich des mehrfachen unerlaubten Kokainbesitzes schuldig gemacht haben. Zudem habe er bei einer Gelegenheit das Rauschgift fahrlässig an Dritte weitergegeben.

Zusammengekauert und kreidebleich folgt Immendorf der Anklageverlesung. Dann bekennt er sich in vollem Umfang schuldig. Sein Verteidiger Rüdiger Spormann verliest das Geständnis: „In der Tat ist alles so richtig, wie es in der Anklage steht.“ Die anschließenden Fragen beantwortet der 59-Jährige selbst – auch wenn es ihm sichtlich schwer fällt. Denn Immendorff ist krank, todkrank.

Nein, das ist keine Inszenierung. Seit 1998 leidet der frühere Beuys-Schüler, der heute zu den bedeutendsten deutschen Malern der Gegenwart zählt, an einer unheilbaren Nervenkrankheit: Amyotropher Lateralsklerose (ALS). Sie zerstört jene Nervenzellen im Rückenmark, die für die Steuerung der Muskulatur zuständig sind. Die Nervenzellen des Gehirns bleiben dagegen verschont, die meisten Betroffenen durchleben die unheilbare Krankheit bei vollem Verstand.

Immendorff kann sich inzwischen nicht mehr selbst anziehen, auch im Gerichtssaal braucht er zum Setzen und zum Aufstehen die Hilfe seine Anwalts. Die Aussicht in absehbarer Zeit einen „Tod durch Ersticken“ zu erleiden, löse bei ihm Panik aus, gibt er zu Protokoll.

Diese Panik soll verantwortlich sein für jene wilden Feiern im noblen Steigenberger Parkhotel, wegen denen der frühere Apo-Rebell und Maoist nun vor Gericht steht. Als die Polizei nach einem anonymen Hinweis am 16. August 2003 die Suite 207 des Hotels stürmte, fanden sie den Meister, wie er sich nackt auf einem extrabreiten Bett fläzte. Daneben zwei Gespielinnen, sieben weitere Prostituierte vergnügten sich miteinander in Sichtweite. Es habe sich hier um eine „erotische Inszenierung“ gehandelt und er habe „keinen Geschlechtsverkehr“ gehabt, betont Immendorff. Auf einem Versace-Tablett auf dem Nachttisch war Kokain in sauberen Linien nebst griffbereiten Röhrchen angerichtet.

Die Ermittlungen ergaben zudem, dass er seit 2001 insgesamt 27 solcher Partys in dem Luxushotel gefeiert hatte. Was ihn dazu trieb? Immendorff schildert, wie er vor etwa zehn Jahren erstmalig in einschlägigen Szenelokalen auf der Düsseldorfer Königsallee mit der Droge in Kontakt gekommen sein will. Nachdem er geraume Zeit lediglich „Mitkonsument“ gewesen sei, habe er kurz vor Ausbruch seiner schleichenden Erkrankung vor rund fünf Jahren erstmals selbst Kokain gekauft. Die bei ihm beschlagnahmte Menge von 21,6 Gramm weißen Pulvers, das 6,6 Gramm reines Kokain ergibt, ist so groß, dass dem vorläufig suspendierten Kunstprofessor ein Jahr Haft droht.

Aber schon die Befragung des Angeklagten gerät dem Vorsitzenden Richter Jochen Schuster zu einer Art Bestrafungsaktion. Geradezu genüsslich scheint er Immendorff mit seinen bohrenden Fragen in die Ecke drängen zu wollen. „Warum haben Sie kein Abitur gemacht?“, „Haben Sie gedient?“, „Sind Sie sexuell normal veranlagt?“ Man kann ja alles mal fragen. Ein quälendes Verhör. „Das wäre ja auch noch schöner“, entfährt es dem Richter, als Immendorff beteuert, nie in der Kunstakademie gekokst zu haben.

Der sinkt unterdessen immer mehr in sich zusammen, wird immer kleinlauter. Nichts mehr ist übrig geblieben von jenem demonstrativen Selbstbewusstsein, mit dem er noch im August vergangenen Jahres in der Welt am Sonntag austeilte. Da nannte er seine Kokainorgien noch „jene Ereignisse, aus denen ich mir meine Inspirationen ziehe“, schimpfte über „ehrenrührige Prostituierte“ ebenso wie über „eine gewisse Art von Journalisten“ und schlussfolgerte: „Es existiert eben ein Verfall der Sitten in allen Berufsgattungen.“ Der Richter erinnert sich offenbar an jenen Artikel und spricht von „orientalischen Neigungen“. Für das Verfahren hat die Düsseldorfer Strafkammer insgesamt sieben Verhandlungstage bis Ende August angesetzt.