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Archiv-Artikel

Auf Gerhards Spuren

Die Grünen gehen dort in Klausur, wo Schröder die Steuerreform vorzog. Das Ergebnis ist weniger dramatisch: Die Fraktion fordert mindestens 85.000 Studienplätze und den Umzug der FHTW

von STEFAN ALBERTI

Gut, dass sie keinen Gerhard in der Fraktion haben. Sonst hätten sich die Grünen-Abgeordneten noch angesprochen fühlen können auf dem Weg zu ihrer Klausur im östlichen Brandenburg. So erinnerte das weiß vor einen Backsteinschlot gepinselte „Gerhard, auf geht’s“ daran, dass unweit ihres Parkhotels Schloss Wulkow schon andere tagten. In Neuhardenberg, vier Kilometer weiter, beschloss Schröders Bundeskabinett im Juni, die Steuerreform vorzuziehen. Der Ortsname, bislang mit preußischen Reformen verbunden, wurde zum Symbol für diesen Beschluss.

Wulkow hat eine solche Umdeutung nach drei Tagen mit den Grünen kaum zu erwarten. Nicht nur weil eine kleine Oppositionsfraktion trotz Umfragehoch gegen Rot-Rot wenig zu melden hat. Wenig Streitbares steht auf der Tagesordnung der noch bis heute währenden Klausur. Um Berlin als Wissenschaftsstandort ging es, um Überlegungen zu den Landesunternehmen und zur Situation der Fraktion

Die Fraktion ist nicht die erste, die Wissenschaft als Klausurthema entdeckt. Das haben vor ein paar Monaten schon die PDS-Abgeordneten getan. Immerhin diskutieren die Grünen nicht allein. Unter all den Krawattenlosen im gediegenen Schlosssaal fällt neben der Viadrina-Präsidentin Gesine Schwan ein Mann mit dunkelroter Fliege auf: Karl Einhäupl, Chef des Wissenschaftsrats, jenes Gremiums, das Bund und Länder berät.

Gerne würden die Grünen von ihm harte Fakten dafür hören, dass Investitionen in die Wissenschaft wirtschaftlichen Nutzen bringen. Die wären neben allen inhaltlichen Argumenten beste Antworten auf die Kürzungspläne von SPD-Finanzsenator Thilo Sarrazin. „Wo heute Wissenschaft floriert, wird in zehn Jahren die Wirtschaft blühen“, hat Fraktionschefin Sibyll Klotz vorher als Zitat von Einhäupl gefunden.

Doch der rudert ein bisschen zurück, zeigt sich selbst enttäuscht, wie wenig Belege es für einen solchen Zusammenhang gibt. Denn nicht umsonst investieren für ihn die USA, Japan oder Großbritannien deutlich mehr Geld in die Wissenschaft. Wenig Freunde macht er sich mit dem Ruf nach „einigen wenigen Eliteuniversitäten“, ein oder zwei davon in der Region Berlin-Brandenburg. Dass die als Schrittmacher für die breite Masse der Hochschulen dienen könnten, wie Einhäupl meint, sieht man bei den Grünen nicht.

Einig ist man sich bei einer anderen Forderung Einhäupls: Keine Kürzungen im Bereich Hochschule und Forschung. 85.000 Studienplätze müssten in jedem Fall finanziert werden, sagt Lisa Paus als Wissenschaftsexpertin der Fraktion. Chef Volker Ratzmann wird später noch drauflegen und, wie schon früher mal geschehen, 100.000 fordern. Und wenn Einhäupl sich dafür ausspricht, die Fachhochschulen auszubauen, trifft sich das mit der Grünen-Forderung: am Umzug der FH für Technik und Wirtschaft nach Oberschöneweide – schon im Senat beschlossen, dann wieder eingespart – festzuhalten.

Viel gibt es dazu zu sagen im Saal des Parkhotels, wenig davon ist neu. Etwas spannender schien es am gestrigen Abend zu werden, wo es um die zukünftige Ausrichtung der Fraktion ging. Finanzexperte Jochen Esser polterte jedenfalls schon bei der Hinfahrt über ein Papier aus der Fraktionsspitze. Aber auch diese Kritik beschränkt sich vorwiegend auf das Verhältnis zwischen Bundes- und Landespartei.

An der Situation an sich gibt es wenig zu deuteln: Die Berliner Grünen sind im Umfragehoch, standen im Juli mit 18 Prozent doppelt sie gut da wie bei der Wahl 2001. Der gemeinsame Auftritt der Fraktion nach außen soll verstärkt, die Medienpräsenz verbessert werden, hieß es vorher. Sogar der Begriff „Corporate Identity“ war zu hören. Dumm für die Grünen, dass Berlin sein Parlament erst wieder in drei Jahren wählt. Da muss der Korpsgeist schon Ausdauer zeigen.