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Archiv-Artikel

Kabarettisten sind Narren

Der Kölner hat es nicht so mit dem Nachdenken, wenn es länger dauert als ein Kölsch. Die Domstadt gilt daher als Deutschlands erste Comedy-Metropole und hat dementsprechend viel zu bieten

VON INGO PETZ

Letzten Endes lag es wieder an Helmut Kohl. Als hätten die Kölner nicht schon genug zu Lachen gehabt – über Karneval, Kirchen und Klüngel. Köln ist bestimmt die lustigste Stadt Deutschlands. Kohl schätzte das offenbar und schickte RTL & Co. deswegen in die Domstadt.

Als neue Botschafter des Comedy, einem von Kritikern gern gehassten Genres, das ab Anfang der 1990er Jahre vor allem dank der Privaten seinen Siegeszug antrat: mit RTL Samstag Nacht, später mit der Wochenshow auf SAT1 oder Nightwash (das allerdings beim WDR), und auch mit dem Internationalen Köln Comedy Festival ab 1991 und der Köln Comedy Schule ab 1998. Köln ist seitdem Deutschlands Comedy-Hauptstadt, anders als etwa München, das sich getrost als Spitze des literarischen Humors, des Kabaretts also, titulieren darf. Der Kölner hat es nicht so mit dem Nachdenken, wenn es länger als ein Kölsch dauert. Und Comedy passt wohl, weil die Narren zwischen Aschermittwoch und dem Kölner „Ground Zero“ auf dem Altermarkt, am 11. November nicht wissen, worüber sie sonst noch lachen sollen, als über den FC, den Müllskandal oder über Kardinal Meissner.

„Comedy und Karneval stehen sich allerdings als relativ geschlossene Systeme gegenüber“, sagt Patrick Simon vom Kölner Kabarett-Label WortArt, um den Vorwurf zu entkräften, in Köln sei alles Karneval. Der Vorteil für den Standort Comedy sei neben den vielen Medien die zentrale Lage Kölns und die unglaublich vielen Bühnen. Wenn Sie wollen, können Sie an jedem Abend der Woche im Kölner Keller zum Lachen gehen. Über 50 freie Spielorte existieren in der Domstadt – darunter die Nachwuchs-Bühne Ateliertheater, das Wohnzimmertheater, in dem unter anderen Johann König seine ersten Auftritte absolvierte. Außerdem die bekannte Comedia, in denen regelmäßig Volker Pispers & Co. auftreten, oder das altehrwürdige Senftöpchen – eines der bundesweit meistgeschätzten Kleinkunst-Theater. Alexandra Kassen (81) ist Direktorin dort und hat Kabarett seit 1959 mit ihrem Mann Fred Kassen in Köln etabliert. „Kabarett gehört heute zu Köln wie der Karneval“, sagt sie. „Natürlich machen wir auch Comedy. Aber ich weiß von unserem Publikum, dass starkes Wortkabarett wieder gefragt ist.“ Während die Privaten sich allerdings eher an Comedy halten, ist der WDR immer noch einer der stärksten Förderer des klassischen Kabaretts, wie mit den Mitternachtsspitzen, einer von Jürgen Becker präsentierten Kabarett-Show im WDR-Fernsehen. Becker ist einer der erfolgreichsten Kölner Kabarettisten, der wie Wilfried Schmickler oder „Bestsellerfresser“ Wolfgang Nitschke aus dem politischen Humor-Biotop der in diesem Jahr 20 Jahre alt gewordenen „Stunksitzung“ auferstanden ist. Spezifisches Kölner Kabarett, zu dem auch Alt-Linke wie Heinrich Pachl, Grenzgänger wie der Chansonnier Gerd Köster oder der gebürtige Tiroler Konrad Beikircher zählen, beschäftigt sich vor allem mit dem Kölner und seinen Abgründen und mit dem Karneval und seinen noch tieferen Abgründen, wobei Mechanismen des karnevalistischen Humors übernommen und auf diese Weise parodiert werden.

Diese Szene ist relativ klein und kam erst ab Ende der 1960er Jahre so richtig in Gang – unter anderem mit den politischen Machtwächtern oder eben mit der Stunksitzung ab 1984. Kabarettisten sind die wahren Narren Kölns. Und der Rest?

Alles nur Komiker.