: Wehmütiger Abschied nach einer langen Liebe zur Partei
Gewerkschafter und ehemalige Sozialdemokraten wollen in Köln eine Dependance der „Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ aufbauen. Die SPD zu verlassen, fällt vielen nicht leicht. Doch das Interesse an Alternativen scheint groß. Und Wahlforscher prognostizieren gute Chancen
KÖLN taz ■ Nein, die Entscheidung ist Hans-Georg Pieper nicht leichtgefallen. „Das war eine Ehe“, sagt der 48-Jährige Selbstständige. 32 Jahre hat sie gehalten. Jetzt hat er sich von seiner einstigen großen Liebe getrennt: Pieper ist aus der SPD ausgetreten. Müntefering & Co. hätten vollständig den Bezug zur Realität verloren, beklagt er.
Werner Ley war 25 Jahre Mitglied. Bis Anfang dieser Woche. Jetzt führt jemand anderes die Kasse im Vorstand seines Ortsvereins in Chorweiler. Auch der 54-Jährige hat viel Zeit gebraucht, bis er das Abschiedsschreiben endlich abschickte. Schließlich glaubte der überzeugte Gewerkschafter lange an den ehernen Leitsatz: „Man ist Sozialdemokrat, man bleibt Sozialdemokrat.“ Außerdem: „Man hatte ja immer noch Hoffnung.“ Und die stirbt bekanntlich zuletzt. Bei Ley mit Gerhard Schröders Agenda 2010: „Da sind Dämme gebrochen.“
Als Pieper Anfang der 70er Jahre zu den Genossen stieß, war Holger Warm noch gar nicht geboren. Seine Beziehung mit der Partei hatte denn auch eher etwas von einem kurzen Flirt. Den beendete der 31-Jährige, nachdem Oskar Lafontaine als Finanzminister und Parteichef das Handtuch geworfen hatte. Sein Austritt war für Warm eine konsequente Entscheidung: „Wegen Lafontaine bin ich schließlich auch in die SPD eingetreten.“
Nicht nur den Verlust ihrer Illusionen in die einst so stolze Partei Bebels und Brandts haben Pieper, Ley und Warm gemeinsam: Die drei gehören zu dem Koordinierungskreis, der seit Mitte Mai in Köln eine Dependance der „Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit“, kurz WASG, aufbaut. Kein einfaches Unterfangen, ist sich Mitkoordinator Martin Nees bewusst: „Wir sind dabei etwas aufzubauen und wissen doch alle nicht so recht, wie das geht.“
Gut zwei Jahre vor der Bundestagswahl wagen bundesweit Unzufriedene aus SPD und Gewerkschaften mit der „Wahlalternative“ den ersten ernst zu nehmenden Versuch, parteipolitisch Front zu machen gegen die Agenda 2010, gegen Rentenkürzungen und Arbeitsmarktreformen. 10.000 Interessenten haben sich bereits auf Unterstützerlisten eingetragen. Alleine in Köln hätten sich inzwischen über 400 bei den Koordinatoren gemeldet, um in den Verteiler aufgenommen zu werden, berichtet Ley. Und täglich würden es mehr. „Das sind alles Leute, die über die neoliberalistische Politik schockiert sind und etwas dagegen unternehmen wollen.“
Tatsächlich scheint das Interesse an der WASG auch in der Domstadt groß zu sein – offensichtlich sogar größer, als die Organisatoren erwartet haben. Für die über 60 Menschen, unter ihnen viele aktive Gewerkschafter, die am Dienstag Abend in das Nippeser Bürgerzentrum geströmt waren, war der ausgewählte Versammlungsraum jedenfalls augenscheinlich mindestens eine Nummer zu klein gewählt. Er sei „angenehm überrascht“ über die vielen, die „jetzt mit richtig viel Power durchstarten wollen“, sagt Ver.di-Mann Werner Ley. Das nächste Treffen am 14. September solle in einem größeren Saal stattfinden, verspricht er. Dann soll auch über die anstehende Stadtratswahl diskutiert werden. „Wir wissen noch nicht, ob wir eine Wahlempfehlung abgeben werden“, sagt Ley. Er möchte sich von niemandem vereinnahmen lassen.
Auch die Entscheidung, ob aus dem eingetragenen Verein WASG eine richtige Partei werden wird, ist noch nicht endgültig gefallen. Darüber wollen die Linksaktivisten erst auf einem Bundestreffen im Spätherbst entscheiden. Glaubt man den Wahlforschern, wären die Aussichten für eine neue bundesweite Linkspartei nicht schlecht: Sechs Prozent würden sie wählen, ermittelte Infratest, sogar 38 Prozent könnten sich dies zumindest unverbindlich vorstellen. „Wir haben eine große Chance“, ist Ley überzeugt. Pascal Beucker