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Archiv-Artikel

Alte Liebschaften und neue Morde

Als drängte sich die gewalttätige Geschichte des kompakten Klinkerbaus in die Ausstellungen, die heute dort gezeigt werden: Seit 1991 ist das barocke Schloss Agathenburg an der Unterelbe ein Kulturzentrum

von Hajo Schiff

Denkt man an die südliche Unterelbe, fallen einem zuerst Konflikte zwischen Industrie und Landwirtschaft, zwischen Stromausbau und übrig gebliebenen Naturräumen ein. Dabei hat diese Gegend zwischen Hamburg, Cuxhaven und Bremen eine besondere Geschichte. Das Alte Land und das Stader Land standen als Teil des säkularisierten Bistums Bremen nach dem 30-jährigen Krieg von 1645–1712 unter schwedischer Herrschaft. Und die hinterließ an der Unterelbe auch eines der ansonsten hier nicht so reichlich zu findenden Schlösser.

Allerdings war Schloss Agathenburg nach dem Brand von 1921, nach Umbauten und Vernachlässigung kaum mehr als solches zu erkennen. Erst nach umfangreicher Sanierung und teilweiser Rekonstruktion durch den Landkreis Stade und die Stiftung Niedersachsen wurde das Gebäude 1991 ein Kulturzentrum. Seitdem gibt es dort Konzerte von Jazz bis Cage, Vorträge, Lesungen und Kunstausstellungen. Im Oktober dieses Jahres wird die Kulturstiftung Schloss Agathenburg vom Landkreis in die Selbständigkeit entlassen und erhält, nach dem Modell der Hamburger Museen, mehr Freiheiten, aber auch mehr finanzielle Verantwortung. Dann wird es wohl noch mehr Vermietungen der Nebengebäude und des historischen Eiskellers geben müssen.

Der kompakte Klinkerbau auf dem Geesthang über der Elbmarsch wurde 1655 im Auftrag des schwedischen Generalgouverneurs der Herzogtümer Bremen und Verden, Hans Christoph von Königsmarck errichtet. Er nannte das Schloss Agathenburg nach seiner Frau, Agatha von Lehsten. Doch die Familie des ehemaligen Feldherrn, der noch kurz vor dem Westfälischen Frieden für die Protestanten die Prager Kleinseite erobert hatte, hatte nur kurz Freude an dem Anwesen. Schon 1694 wurde der Enkel und Erbe des Schlosserbauers ermordet, vermutlich weil er sich mit einer kurhannoverschen Prinzessin eingelassen hatte.

Erinnerungen an noch berühmtere Liebeshändel umwehen das Gemäuer: Maria Aurora von Königsmark (1662–1728), schön, hochgebildet und nie verheiratet, hatte eine Liaison mit dem sächsischen Kurfürsten und späteren König von Polen, August dem Starken. Sie wurde die Mutter von Moritz von Sachsen.

Die Blütezeit des Anwesens ist längst entschwunden und mit ihr der große, formalisierte Barockgarten in der Elbmarsch. Aber ein Bauerngarten wurde in barocker Manier oben vor dem Schloss neu angelegt, und es existieren noch Reste des romantischen Baumparks am Geesthang und um die beiden Fischteiche herum. Die Anlagen um das Schloss werden auch als Skulpturenpark genutzt; dieser wird durch Ankäufe der Kreissparkasse noch regelmäßig vergrößert.

Im Schloss gibt es eine Dauerausstellung zur Ortsgeschichte, vor allem aber im großzügigen ersten Stock internationale Kunstausstellungen. Zur Zeit geht es dort sehr gewalttätig zu, denn Mörder und Ermordete bestimmen das Projekt „Zeit Richten“ von Cony Theis. Die Düsseldorfer Künstlerin lotet das ganze Umfeld dessen aus, was sie durch ihren Beruf als Gerichtszeichnerin für das Fernsehen zehn Jahre lang genau beobachten konnte. Zu sehen sind Gerichtsszenen, unter anderem mit dem „Monster von Charleroi“ Marc Dutroux, Porträts von offiziellen Geheimnisträgern wie Anwälten und Therapeuten, forensische Zitate und auf die Haut gemalten Opferbilder, ja sogar ein „Entbösungsraum“.

Die Bühnenbildnerin Petra Straß hat dazu einen Raum mit schwarz-weißen Papierreliefs gestaltet, deren Thema die mythischen Mörder-Heroinen Judith und Salome sind. Als cineastisches Bonbon gibt es am 23. Juli dazu eine seltene Aufführung des 1948 gedrehten Films Die Maschine Bösetöter von Roberto Rosselini.

Doch die hiesige Welt scheint angesichts von Schloss, Garten und Dorfkrug an der Straße gegenüber noch recht in Ordnung zu sein – sonntags gibt es im Schloss auch Kaffee und Kuchen. Das nicht allzu weit entfernte Atomkraftwerk Stade ist inzwischen abgeschaltet, und der Blick kann weit über die Elbmarsch schweifen: Übersieht man geflissentlich sirrende Strommasten, rauschende Eisenbahnlinie und den Neubau der Marschenautobahn Hamburg-Stade, kann man sich gut ein barockes Landschaftsbild imaginieren.

Schloß Agathenburg, Hauptstraße, 21684 Agathenburg (bei Stade) liegt an der B 73 und ist nur einen kurzen Spazierweg vom Regionalbahnhof Agathenburg entfernt. Geöffnet Di–Sa 14–18, So 10–18 Uhr. Ausstellungen: Cony Theis, „Zeit Richten“, bis 15. August; Helle Frøesig (Dänemark): „Aber diesen Nachmittag“, 5. September bis 10. Oktober. Kino: „Die Maschine Bösetöter“ von Roberto Rosselini (OmU): Freitag, 23. Juli, bei guter Witterung um 22 Uhr draußen, sonst um 20 Uhr drinnen. Nächstes Konzert im Pferdestall: Gustav Peter Wöhler Band, Freitag, 30. Juli, 20 Uhr. Informationen unter www. schlossagathenburg.de, Tel.: 041 41-640 11