Wer dies liest ist ein Esel

Frischer, gemäßigt impressionistischer Blick auf Elbe, Alster und Nordheide: Die Kunsthalle zeigt in ihrem „Hamburger Gang“ eine neue Auswahl aus ihrer Sammlung und klärt nebenbei die Frage nach der spezifisch Hamburgischen Kunst

Museen werden im internationalen Vergleich gemessen – die Hamburger Kunsthalle braucht diese Herausforderung nicht zu scheuen. Nirgendwo sonst gibt es eine so bewusste Sammlung regionaler Kunst. Das scheint paradox, denn in der global vernetzten Welt wirkt eine lokale Kunstgeschichte rührend altmodisch – ja es ist fragwürdig, ob man überhaupt noch von Lokalstilen sprechen kann.

Doch die Rückbesinnung auf die Region hat einen speziellen Reiz. Das zeigt sich jetzt wieder in den Erdgeschossräumen des „Hamburger Ganges“, wo die Kunsthalle aus ihrer umfangreichen Sammlung wieder eine Auswahl von Bildern der Hamburger Malereigeschichte von 1500 bis 1900 ausstellt.

Für den Gründungsdirektor Alfred Lichtwark (1852–1914) war Kunst aus Hamburg ein Schwerpunkt beim Aufbau der Sammlungen. Er hat die „Hamburgische Malerei“ Ende des 19. Jahrhunderts geradezu strategisch zu einem Begriff gemacht. Damit entdeckte und promotete er Meister Francke und Meister Bertram, inzwischen in die allgemeine Kunst eingeordnete Hamburger Maler spätmittelalterlicher Altäre oder auch den damals wenig beachteten, großartigen Philipp Otto Runge.

Und doch war Hamburg oft nur ein Baustein in den Biographien der Künstler, deren Kunst sich nicht besonders von der anderswo gemachten unterschied. Ratsmaler Franz Timmermann wurde zum Lernen zu Lucas Cranach geschickt – und ganz so sieht seine „Lucrezia“ von 1536 auch aus. Der hervorragende Stilllebenmaler Georg Hintz (1630–1688) durfte eigentlich in Hamburg gar nicht malen, da er nicht im Maleramt eintragen war: Seine Bilder tragen oft die Signatur von Ottmar Elliger aus Altona.

Die hier geborenen Barockmaler Balthasar Denner oder Franz Werner von Tamm machten dagegen am Wiener Kaiserhof gut bezahlte Karriere. Im 18. Jahrhundert war Hamburg dann ein bedeutendes Zentrum des Kunsthandels, aber eben nicht der Kunstproduktion.

„Das Herz geht uns erst auf, wenn wir die Schwelle des 19. Jahrhunderts überschreiten“, schrieb Lichtwark und definierte dann eine eigene Kunstentwicklung von den Realisten des Hamburger Künstlervereins von 1838 bis zu den Freilichtmalern des Hamburger Künstlerclubs von 1897. Wahrscheinlich gefällt deren frischer, gemäßigt impressionistischer Blick auf Elbe, Alster und Nordheide noch heute den meisten Besuchern am besten.

Das vielleicht seltsamste Bild der Auswahl ist aber ein überbreites Cinemascope-Format mit einer Person vor einer graffitibekritzelten Wand: „Wer das liest ist ein Esel“, diese Wort entziffern die amüsierten Besucher auf Hans Speckters Bild von 1882. Hajo Schiff

„Geschichte der Malerei in Hamburg – 1500–1900“ Hamburger Kunsthalle; Di–So 10–18, Do bis 21 Uhr; bis 16. Januar 2005