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Archiv-Artikel

Fern der Heimat

So trist sind die Heimatklänge geworden, dass es schwer fällt, sich überhaupt auf die Musik zu konzentrieren

Ist es Nostalgie, Konservatismus oder gar übler Kulturpessimismus? Irgendwie kann ich mich nicht mit der neuen Location der Heimatklänge anfreunden. Immer wieder rutscht mir der Blick von der Bühne auf die Hochhauskulisse des Po-Platzes.

Auf die fröhlich leuchtenden Logos von multinationalen Konzernen wie PriceWaterhouseCoopers – eine der größten Arbeitsplatzvernichtungsagenturen der Welt. Oder Sony Music – bald wohl auch wesentlich kleiner, wegen der Fusion mit BMG. Vielen gefällt der Blick auf die Hochhäuser richtig gut. Auch die schräge Granitfläche, die bei Regen zur Rutschbahn wird, bei Sonntags-Sonne zum Glutofen und bei normalem Sommerwetter (hah) trotz der gestreiften Liegestühle ziemlich öde ist, findet komischerweise ihre Liebhaber.

Ich dagegen komme ins Träumen von den guten alten Zeiten, kann mich überhaupt nicht auf den ziemlich ernsthaften Kuba-New-York-Jazz des Septeto Rodriguez konzentrieren, höre nur die Ansage des Bandleaders, man solle sich freuen über den Wohlstand hier und an die armen Kinder in Afrika denken. Als Alt-Heimatklängler sehe ich mich plötzlich vorm Tempodrom im Tiergarten anno 1997 stehen. Echte Bäume, billiges Bier (heute fünf Euro für den halben Liter), oftmals tolle Bands und ein treues Publikum. Eine aufgekratzte Irene Mössinger, die von einem „abgefahrenen Ökobau“ fürs künftige Tempodrom schwärmt: „Muss nur irgendwie das Geld auftreiben, willste nich’ was spenden?“.

Und dann der Absturz, weil Mössinger nicht bereit ist, die Heimatklänge aus ihrem Machtbereich zu entlassen. Immerhin hatte das Tempodrom die defizitäre Reihe immer mitfinanziert, also machte es Rechte geltend, die der eigentliche Macher, das Weltmusikunternehmen Piranha mit dem genialen Musik-Ethnologen und Märchenonkel Borkowsky Akbar, rein juristisch nicht hatte.

Es kamen folgerichtig 2002 die Heirats-Heimatklänge ohne Borkowsky im Beton-Tempodrom – die mit 10 Euro Eintritt, Indoor-Muff und Langweileracts die Marke Heimatklänge schwer beschädigten. Jetzt plötzlich möchte man am Kulturforum an die guten alten Zeiten anknüpfen. Die Zirkuswagen aber sind längst verschrottet, die neue Lounge mit DJs nach den Liveacts ist leer, und Piranha macht Verluste. Aber: Gehen Sie doch einfach mal hin! Ganz unvoreingenommen. ANDREAS BECKER

Septeto Rodriguez, Fr & Sa 21.30, So 16 Uhr, am Kulturforum, Potsdamer Platz