: Schonfrist für Finanzsenator
Sarrazin kriegt vier Wochen mehr für Tempodrom-Stellungnahme. Staatsanwaltschaft hält Vorwurf der Untreue derzeit für belegt. SPD wirft ihr Effekthascherei vor. CDU und FDP: Bei Anklage Rücktritt
VON STEFAN ALBERTI
Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) hat einen Monat Aufschub erhalten, sich in der Tempodrom-Affäre zu äußern. Die Staatsanwaltschaft, die gegen ihn wegen des Verdachts der Untreue ermittelt, entsprach damit einem Antrag seiner Anwälte. Die Frist wäre sonst am Sonntag abgelaufen. Gleiches gilt für Wirtschaftsstaatssekretär Volkmar Strauch und Ex-Bausenator Peter Strieder (beide SPD). Für den Fall einer Anklage fordern CDU und FDP Sarrazins Rücktritt. Die SPD-Fraktion hingegen will ihn halten: „Ein Rücktritt steht für uns nicht zur Diskussion“, sagte ihr parlamentarischer Geschäftsführer Christian Gaebler der taz. Er geht davon aus, dass eine Anklage vor Gericht scheitert.
Eine Anklage gilt inzwischen als wahrscheinlich. In einer Zwischenbeurteilung, einer so genannten rechtlichen Würdigung, kommt die Staatsanwaltschaft zu dem Schluss, dass der Vorwurf der Untreue zu Lasten des Landes Berlin berechtigt sei. Im Kern geht es darum, ob eine Sponsoring-Entscheidung zugunsten des Tempodroms im Oktober 2002 strafrechtlich relevant ist. Sarrazin, Strauch und Strieder hatten damals im für die Investitionsbank Berlin zuständigen Ausschuss der Landesbank einer 1,7-Millionen-Euro-Finanzspritze für den inzwischen Konkurs gegangenen Kulturbau zugestimmt. Die Staatsanwaltschaft vertritt gegenwärtig die Auffassung, dass die Landesfinanzen dadurch geschädigt wurden und die drei Regierungsmitglieder dafür zur Verantwortung zu ziehen seien.
CDU und FDP halten es für nicht vertretbar, dass Sarrazin und Strauch im Falle einer Anklage in ihren Ämtern bleiben, unabhängig von Schuld oder Unschuld. Wenn man bis zu einem rechtskräftigen Urteil in letzter Instanz am Bundesgerichtshof warte, könne das Jahre dauern, sagt FDP-Fraktionschef Martin Lindner: „In dieser Zeit wäre das wichtigste Mitglied des Senats zwei Drittel des Tages mit seiner Verteidigung beschäftigt – das ist für das Land Berlin nicht tragbar.“ Ihm selbst würde der Rücktritt Sarrazins Leid tun: „Er ist der Letzte mit Gewicht im Senat.“
CDU-Generalsekretär Gerhard Lawrentz argumentiert in die gleiche Richtung: Sarrazin sei bei einer Anklage als Finanzsenator schlicht nicht mehr handlungsfähig. Einen Vergleich mit dem Fall Josef Ackermanns, der in der Lage war, gleichzeitig vor Gericht zu stehen und die größte Deutsche Bank zu führen, lässt Lawrentz nicht gelten: Das sei ein Privatunternehmen, hier gehe es um die Landesregierung und das Ansehen Berlins.
Senatssprecher Michael Donnermeyer mochte sich zu den Konsequenzen einer Anklage genauso wenig äußern wie SPD-Landesgeschäftsführer Andreas Matthae. „Wir gehen fest davon aus, dass keine Untreue vorliegt“, sagte Donnermeyer. Er hält es für falsch, politische Entscheidungen wie beim Tempodrom vor Gericht zu bewerten. „Man mag es im politischen Raum kritisieren, aber man kann es nicht kriminalisieren“, sagte Donnermeyer. Stefan Liebich, Partei- und Fraktionschef des Koalitionspartners PDS, hielte eine Anklageerhebung für „völlig unplausibel“ und sprach von einer „abenteuerlichen Konstruktion“ der Staatsanwaltschaft.
SPD-Mann Gaebler hielt der Behörde vor, sie würde bewusst mit Druck gegen aktuelle Amtsträger ermitteln. Laut Gaebler müsste sie sich stärker den Ermittlungen zur mit größerem Schaden verbundenen generellen Tempodrom-Finanzierung widmen. Die richten sich unter anderem gegen zwei frühere CDU-Staatssekretäre. Stattdessen ermittle sie mit Hochdruck wegen des 1,7-Millionen-Sponsorings gegen aktuelle Regierungsmitglieder. „Hier geht es der Staatsanwaltschaft offensichtlich um Effekthascherei und nicht um ein fundiertes Vorgehen im Sinne des Landes Berlin“, sagte der SPD-Politiker.
Staatsanwaltschaftssprecher Frank Thiel wies diesen Vorwurf zurück. Zum einen hätten sich die ersten Ermittlungen mit dem Sponsoring und Strieder, nachfolgend auch Sarrazin und Strauch befasst. Der andere Komplex sei erst später hinzugekommen. Zum anderen sei der zweite Komplex wesentlich größer, das beschlagnahmte Material etwa zehnmal so umfangreich.
Der weitere Zeitplan sieht laut Thiel wie folgt aus: Der Einsendeschluss für die Stellungnahmen der Beschuldigten ist bis 25. August verlängert. Falls die Anwälte von Sarrazin und Co. nicht noch beantragen zusätzliche Beweise zu erheben, könne man binnen weniger Wochen entscheiden, ob es zur Anklage kommt. Ob die auch wirklich im Gericht verhandelt wird, liegt dann im Ermessen des Landgerichts.