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Archiv-Artikel

Fast alle Anamur-Flüchtlinge zurück in Afrika

Rom entledigt sich weiterer 27 Asylsuchender, die von der „Cap Anamur“ aus dem Mittelmeer gerettet worden waren. Weder Anwälte, Abgeordnete noch Beobachter der Vereinten Nationen erhielten Zugang zu den Abgeschobenen

ROM taz ■ Die italienische Regierung zieht ihren Brachialkurs gegen die Cap-Anamur-Flüchtlinge durch. Sie flog gestern weitere 27 der Asylbewerber von Rom-Fiumicino aus nach Afrika aus, unbestätigten Berichten zufolge mit dem Ziel Ghana. Der Abflug verzögerte sich um mehrere Stunden – was darauf hindeutet, dass die Afrikaner teils heftigen Widerstand leisteten und daher mit Gewalt an Bord der Maschine gebracht wurden.

Diverse Quellen bestätigten, dass es an Bord heftige Auseinandersetzungen gegeben haben muss. Vier Flüchtlinge seien wegen Widerstandshandlungen in Italien geblieben. Das Innenministerium war zu keinerlei Auskünften über die Umstände der Aktion und den Verbleib von vier Asylsuchenden bereit. Rechtsanwältin Simona Sinopoli berichtete der taz, sie habe bisher keinerlei Informationen über den Aufenthaltsort der wahrscheinlich Verhafteten erhalten. Ihre Kollegin Carmen Cordaro sagte, sie habe in ihrer Anwaltstätigkeit „nie eine solche Fülle von Rechtsbrüchen durch die Behörden erlebt wie jetzt“.

Während die Afrikaner auf ihren Abflug warteten, protestierten am späten Mittwochabend in der Abflughalle einige Dutzend Globalisierungskritiker gegen die Abschiebeaktion, unter ihnen auch Parlamentsabgeordnete der Grünen und von Rifondazione Comunista. Ihnen wurde genauso wie Abgeordneten der Linksdemokraten jeder Kontakt zu den Flüchtlingen verweigert. Nicht einmal der Chef des Flughafenbüros der Ausländerpolizei fand sich bereit, den Parlamentariern Auskünfte zu geben. Stattdessen fanden sich die Protestierer von einem kräftigen Aufgebot von Polizisten und Carabinieri umstellt.

Wie schon in den Vortagen hielt das Innenministerium auch in den Stunden unmittelbar vor der Abschiebung konsequent an seiner Politik der Totalabschottung der Flüchtlinge fest. In Fiumicino wurde den Rechtsanwälten erneut der Zugang zu den Afrikanern verweigert. Auch die italienische Beauftragte des UNHCR, Laura Boldrini, erhielt keinerlei Möglichkeit zu einem Gespräch mit den in einer Sicherheitszone Weggeschlossenen. Selbst elementarste Informationen – wie die über den aktuellen Aufenthaltsort der gestern von Catania nach Rom geschafften Flüchtlinge – wurden ihr entgegen langjähriger Praxis vorenthalten. „Unerklärlicherweise hat die Polizei mit uns nicht zusammengearbeitet, während bisher in solchen Situationen immer ein Klima der Kooperation herrschte“, erklärte die UNHCR-Vertreterin.

Italien vorgeführt – als schwächstes Glied Europas

Ganz so unerklärlich ist das Handeln der italienischen Behörden indes nicht. Innenminister Giuseppe Pisanu hatte die Fragestunde des Parlaments am Mittwoch genutzt, um der Cap Anamur vorzuwerfen, sie habe Schlepperbanden und auswanderungswilligen Afrikanern bewusst das Zeichen geben wollen, dass Italien das schwache Glied Europas sei. Am Rande der Sitzung entwarf Pisanu dann Horrorszenarien von angeblich zwei Millionen Menschen, die schon an Libyens Küste auf die Schlepper warten.

Aus diesem Grunde auch weigerte sich die Regierung, den Spruch des Verfassungsgerichts in Rechnung zu stellen, dass Abschiebungen nur nach richterlicher Bestätigung des Beschlusses und nach Anhörung des Abschiebekandidaten im Beisein eines Rechtsanwalts für rechtens erklärt hat. Ebenfalls setzte sich die Regierung – auch dies ein Novum – über den Spruch der eigenen Asylkommission hinweg, die für 22 Flüchtlinge die Gewährung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen empfohlen hatte. Pisanu erklärte stattdessen im Parlament, keiner der Asylbewerber könne bleiben. Zugleich mochte er bis zuletzt nicht auf die in den letzten Tagen verfolgte Politik der Täuschung und Irreführung verzichten. Am Rande der Parlamentssitzung ließ er zugleich wissen, die Position „jedes einzelnen“ der 22 Flüchtlinge werde natürlich noch ausführlich geprüft werden – da saßen die schon zusammen mit den anderen in den Abschiebezellen des Flughafens Rom-Fiumicino. MICHAEL BRAUN