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Archiv-Artikel

„Kunstschulisches Brauchtum“

Die HBK Braunschweig setzt bewusst auf ihren provinziellen Standort. Jetzt aber soll sie nach ministeriellem Willen Niedersachsens „Zentrum für Bildende Kunst“ werden

Die Filmklasse setzt auf Experimental- und Animationsfilm statt Design und Werbung – wie an anderen Kunsthochschulen

ein Haus, mein Auto, meine Werke, mein Atelier, mein Mäzen“: Bei KünstlerInnen wird nicht zuerst danach gefragt, was sie im Leben gemacht haben, sondern bei wem sie studiert haben. Jemand, der an der Braunschweiger Hochschule für Bildende Künste (HBK) beispielsweise bei Thomas Kapielski studiert hat, hat trotzdem noch keinen Platz bei der nächsten Documenta sicher oder wird ein erfolgreicher Schriftsteller. Aber wenn der betreffende Student seinen Prof in der niedersächsischen Provinz überzeugt hat, kann er sich womöglich dessen lebenslangen Engagements sicher sein.

Bis man aber das „kunstschulische Brauchtum“ beherrscht, womit der Maler und Autor Kapielski die Kunst meint, die Hochschule so zu verstehen, dass man ihre Strukturen perfekt für sich nutzen kann, fließt erst mal viel Wasser die Oker runter. Freie Kunst, Industrial Design, Kommunikationsdesign, Darstellendes Spiel, Bildende Kunst oder Kunst- und Medienwissenschaft?

Die meisten Interessenten kommen wegen der Freien Kunst, die durch das Renommee von Dozenten wie dem Bildhauer Reinhard Kummer oder dem Maler John Armleder zusätzlich reizvoll erscheint – und haben am meisten Probleme, mit der Freiheit eines künstlerischen Studiums zurechtzukommen.

Dafür werden sie aber nicht nur durch das persönliche Klima auf dem Campus aufgefangen, sondern auch die allgemeine Studienberatung der HBK leistet eine sehr individuelle Betreuung – für eine Kunsthochschule nicht unbedingt selbstverständlich.

Eine weitere Besonderheit der HBK ist, dass die Filmklasse von Birgit Hein im Bereich der Freien Kunst angesiedelt ist und ihren Schwerpunkt auf Experimental- und Animationsfilm setzt und nicht wie an anderen Kunsthochschulen auf Design und Werbung. Dass dieser Weg auch erfolgreich sein kann, zeigt vor allem der Absolvent Björn Melhus, der gerade zu einem der gefragtesten Nachwuchs-Videokünstler aufsteigt.

Zwar ist das Bild vom individualistischen Künstler meist überall passé, in Braunschweig sind die Dozenten aber durch Kooperationen mit der Wirtschaft und der Stadt persönlich sehr bemüht darum, den zukünftigen Berufskünstlern den Weg in die Selbstständigkeit zu ebnen. So sorgt etwa Marina Abramovic, Leiterin der europaweit einzigen Performanceklasse, dafür, dass ihre Studierenden regelmäßig auf internationalem Parkett zeigen können, was sie im heimischen Braunschweig erarbeiten. „Darüber knüpfen sie dann wieder Kontakte. Und Dank der offenen Struktur im Haus können wir selbst zusammen mit den Designern Programme und Kataloge erstellen und künstlerisch sowie technisch von den Medienschaffenden profitieren“, sagt sie.

Jährlich zum Ende des Sommersemesters sind die Ergebnisse der provinziellen künstlerischen Aktivitäten auch für die breite Öffentlichkeit zu sehen: Beim Rundgang stellen die circa 1.200 Studierenden aller Bereiche ihre Werke an den drei Standorten der HBK aus. Im Angebot: wirtschaftlich orientierte Projekte im Industrial Design wie die Entwicklung eines „Schwimmwagens“ für VW, „Kunst zum Hören“ im interdisziplinären Bereich Akustik, Fotoarbeiten, die in Licht und Duktus wie Gemälde von Rembrandt inszeniert sind, filmdokumentarische Erkundungen über die Skaterjugend Marokkos und sozialkritische Bildhauerei wie etwa der als „Kinderspielzeug“ betitelte Playstation-Joystick aus Holz.

In Zukunft wird die HBK ihr Profil mit staatlicher Hilfe noch schärfen können: Zwar fallen laut dem so genannten Hochschuloptimierungskonzept (HOK) des niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst (MWK) die Lehramtsstudiengänge weg, gleichzeitig wird ab dem kommenden Wintersemester eine Lehramtsausbildung in Darstellendem Spiel (in Kooperation mit Hannover und Hildesheim) angeboten. Außerdem profitiert Braunschweig von Einsparungen in der Landeshauptstadt: Nach dem Auslaufen der Bildenden Kunst mit den Schwerpunkten Film, Foto, Freie Graphik, Malerei, Klanginstallation und Plastik an der Hannoveraner Hochschule für Musik und Theater wird Braunschweig laut MWK das „Zentrum für Bildende Kunst in Niedersachsen“ sein. Kerstin Fritzsche

Der Rundgang ist noch heute, Samstag, bis 20 Uhr und Sonntag bis 17 Uhr zu besichtigen. Parallel findet die Meisterschülerausstellung der HBK statt sowie am Samstagabend. Weitere Infos unter www.hbk-bs.de.