: berliner szenen Im Usedom-Express
Diese hässlichen Sachsen
„Ich kenne niemanden, der so häufig Recht hätte wie ich“, soll er ausgerufen haben, während er den Usedom-Express in Richtung Berlin bestieg. „Denn diese Insel ist nur von abstoßenden Spießern bevölkert, von hässlichen Sachsen, die hier seit neunzehnhundertfünfundsiebzig alljährlich zum Urlaub an die Ostsee fahren!“ Nachdem er sich in einen der fleckigen Sessel des Abteils fallen gelassen und eine warme Büchse Bier geöffnet habe, sei er plötzlich deutlicher geworden: „Wir sind ein Volk! haben sie gebrüllt und Reisefreiheit gefordert. Doch das Ende vom Lied ist, dass sie sich in ihrem kleinbürgerlichen National-Stumpfsinn bis heute nur dorthin wagen, wo sie ihre Soljanka bekommen, wenn sie sie mit einem dämlichen Grinsen als ‚Sölljonnkö‘ bestellen!“
„Ich höre den Namen Usedom“, habe er, bereits Anklam passierend, gemurmelt, „und bekomme eine Gänsehaut!“ Dann: „Eine tatsächlich schöne Ostseelandschaft, aber überall diese kahl geschorenen Burschen am Strand! Sehen Sie es denn nicht? Dort herrscht die permanente nationalsozialistische Verschwörung, der Hass auf alles Fremde und die totale Vernichtungsfantasie der ewig Kleingeistigen!“
Später, bei der Einfahrt nach Berlin, habe er sich schließlich noch einmal vorgebeugt und geflüstert: „Hören Sie! In Europa wird erst dann Frieden herrschen, wenn dieses Volk interniert und umerzogen worden ist, tatsächlich interniert und umerzogen!“ Vor den entgeisterten Blicken der Mitreisenden sei er am Bahnhof Friedrichstraße aufgestanden, habe seinen Gamsbarthut und seinen lodengrünen Rucksack genommen und sei hinausgestürzt, immerfort rufend: „Internieren! Umerziehen! Umerziehen, Internieren!“
JAN SÜSELBECK