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Archiv-Artikel

Wenn Entzug so einfach wäre

Das Bremer Verwaltungsgericht gibt der Ausländerbehörde Recht, die einen in Bremen geborenen Türken trotz HIV-Infektion und Sucht abschieben will: Der Mann müsse einfach entziehen – im Fall des Scheiterns „trägt er sein eigenes Lebensrisiko“

Von ede

Bremen taz ■ „Ein ‚Fall Mehmet‘ in Bremen!“, empören sich Bekannte von Iskender C.* Zwar ist Iskender C., anders als der spektakuläre Münchener „Fall Mehmet“, schon lange nicht mehr minderjährig. Doch ist auch der heute 26-Jährige in Deutschland geboren und aufgewachsen. Auch ist er ein Intensivtäter – wegen seiner Drogensucht. Noch dazu ist er HIV-infiziert. „So jemand braucht Hilfe, keine Abschiebung“, sagen Ärzte, die den Suchtkranken seit Jahren kennen. Entsprechend schockiert sind sie über ein jüngstes Urteil des Bremer Verwaltungsgerichtes. Danach soll Iskender C. ausreisen. Nicht einmal eine Duldung wird er bekommen, obwohl er bei den Eltern in Bremen lebt, die ihn unterhalten.

Mit dieser Entscheidung gab das Bremer Verwaltungsgericht der Innenbehörde Recht. Die hat dem Sohn türkischer Einwanderer wegen seines langen Strafregisters den Aufenthalt aberkannt. Nach fünf Jahren Prozess soll Iskender C. jetzt in die Türkei – wenn es nicht Rechtsanwalt Christoph Redeker gelingt, gegen dieses erstinstanzliche Urteil erfolgreich in Berufung zu gehen. „Die Folgen des Urteils wären ein erheblicher Einschnitt in die Persönlichkeitsrechte meines Mandanten“, sagt er. Dies gelte es gegen die Interessen der Bundesrepublik Deutschland abzuwägen.

„In der Türkei war mein Mandant zuletzt vor neun Jahren“, argumentierte Redeker bereits vor Gericht. Auch, dass der suchtkranke Mann am Bosporus niemanden kenne. Vor allem aber, dass die medizinische Versorgung des Kranken dort nicht ausreichend gesichert sei. Weder würde er den Suchtersatzstoff Methadon erhalten können; der Abstieg in die Kriminalität sei damit programmiert. Noch erhielte Iskender C. die notwendigen Medikamente, wenn die Immunschwäche AIDS durchbreche. „Das kann in einer Stresssituation, wie sie jetzt bevorsteht, jederzeit geschehen“, warnen Mediziner.

Mit den gesundheits-, wenn nicht lebensbedrohlichen Folgen einer Abschiebung hat sich auch das Gericht auseinandergesetzt. Zwar hat es festgestellt, dass der Süchtige in der Türkei kein Methadon bekommen kann – anders als von der Bremer Ausländerbehörde ursprünglich behauptet. Doch könnte der junge Mann vor der Ausreise ja eine „schleichende Methadonentziehung“ unter ärztlicher Aufsicht durchführen. Diese würde dem Erwerbslosen aus öffentlicher Hand finanziert, dann könnte er gefahrlos in die Türkei einreisen. Tue er dies nicht, nehme er Nebenwirkungen von Herzrasen bis Kollaps „in eigenverantworteter Weise“ als Gefahren in Kauf „und hätte die Folgen zu tragen“. Noch deutlicher – und wie Ärzte meinen in Verkennung des Krankheitsbildes Drogensucht – formuliert das Gericht: „Für das eventuelle Scheitern eines solchen Vorhabens trägt er sein eigenes Lebensrisiko.“

„Iskender kann für sich selbst nur schwer Verantwortung übernehmen“, nimmt ein Betreuer dazu Stellung. Dabei habe sich der mehrfach vorbestrafte Mann seit der letzten Freilassung vergleichsweise gut entwickelt. „Er ist reifer geworden“, sollen auch Mitarbeiter im Justizvollzug festgestellt haben. Zuletzt arbeitetete er dort sogar als „Hausarbeiter“. „Es klingt ironisch, aber Knast stabilisiert auch“, sagt ein Suchtberater. Jemanden wie Iskender C. in eine völlig fremde Umgebung abzuschieben sei verantwortungslos. Die Darstellung des Gerichtes, wonach eine angemessene Behandlung beim Ausbruch von AIDS gewährleistet sei, hält er für fragwürdig. „Die Familie hat doch kein Geld.“

ede *Name geändert