: berliner szenen Billiger telefonieren
Zucker und Reval
Ich hatte noch nicht gefrühstückt. Es klingelte an der Haustür, nicht unten. Das kommt ständig vor, denn im Haus leben Freunde. Der Mann vor der Tür fragte: „Möchten Sie Geld beim Telefonieren sparen?“ Eine Weile standen wir so halb im Treppenhaus. Meine Telefonrechnung ließ ihn zu dem überraschenden Schluss kommen, dass es sich lohnen würde, wenn ich unterzeichnete.
Nur weil er gefragt hatte, saß er plötzlich auf dem Sofa, trank Kaffee mit einem Löffel Zucker, und wir rauchten Reval. Er erinnerte an den ehemaligen Stern-Chefredakteur Jürgs und war vielleicht 58. Seine Hände zitterten manchmal. Die Arbeit sei anstrengend. Manchmal zähle er alle Stufen. Gestern wäre er auf über 2.000 gekommen, und „die Leute an den Türen denken, der will mir doch was andrehen und mich übers Ohr hauen. Ich sag’ dann immer …“ Fünf bis sechs Kunden unterschreiben dann, sie können wohl nichts dabei verlieren. Das sagen sie alle; mir war’s egal. Ich ging davon aus, dass sich im Prinzip nichts ändern würde, und unterschrieb alles.
„Gleich wird Sie jemand anrufen und fragen, ob ich Sie nett und höflich beraten haben. Ich habe Sie doch nett und höflich beraten?“ – „Klar.“ Nachdem er gegangen war, kam er gleich wieder. Er bräuchte noch meine anderen zwei Nummern, die ich zuvor vergeblich gesucht und nie benutzt hatte. Jetzt fand ich sie. Am nächsten Tag wollte er wieder kommen, um mit mir einen billigeren Internetvertrag zu machen. „Bis morgen dann.“ – „Bis morgen dann!“ Am nächsten Tag kam er nicht. Oder vielleicht hatte ich ihn auch nicht gehört. Oder er hatte am Vormittag geklingelt. Am Vormittag mach’ ich nicht auf, weil’s ja eh nur die Reklame ist; ich bin doch nicht bescheuert.
DETLEF KUHLBRODT