■ Vom Totschweigen zum Totreden der Schuld
: Statt sich zu schämen!

betr.: „Die Lust am eigenen Leid“ von Natan Sznaider und Günther Jacob, taz vom 14. 8. 03

Mir hängt es schon lange zum Hals heraus, von „antideutschen“ Superlinken unter „die Deutschen“ subsumiert zu werden (selber Deutsche!). Dass nun auch der geschätzte Natan Szajder in dieses Horn stößt, ist ärgerlich.

Wer sind denn „die Deutschen“? „Die Juden“ gibt es schließlich auch nicht – jedenfalls nicht als ein Kollektiv von politisch und historisch gleich denkenden Menschen, wie Sznaider es für „die Deutschen“ unterstellt. Das müsste er als Kritiker der gegenwärtigen israelischen Politik doch wissen; schließlich stellt ihn dies durchaus in einen Gegensatz zum Denken und Fühlen vieler Juden – aber eben bei weitem nicht aller. Ich wiederum fühle mich durch die von ihm mit Recht kritisierte Relativierungs- und Historisierungswelle genauso wenig repräsentiert wie durch mehr oder weniger billige Holocaust-Ablass-Rituale – anscheinend bin ich dann in Szajders Logik kein Deutscher mehr. Na, da bin ich ja fein raus, denn meine „deutsche Identität“ ist mir nie sonderlich wichtig gewesen. UWE SCHWARZ, Berlin

Die Autoren verschließen vor einer Tatsache fest die Augen: Die Diktatur, der Krieg und der Völkermord sind für mich (28 Jahre, und selbst für meine – nach dem Krieg geborenen – Eltern) nicht „historISIERT“, sondern schlicht HISTORISCH. […]

Zum Thema Frageverbote: Angesichts des Schmerzes der Opfer hat sich früher etwa eine kritische Hinterfragung der Einzigartigkeit des deutschen Völkermords oder seines spezifisch deutschen Charakters verboten – nicht aus inhaltlichen Gründen, denke ich, sondern, weil solche Fragen, verglichen mit dem konkret Geschehenen, zweitrangig waren und ihre Thematisierung tatsächlich auf geschichtsklitterische Motive hindeuten ließen, ganz abgesehen von ihrer Gefühllosigkeit. Indem es aber heute (oder zumindest bald) nicht mehr um „mich, Täter, und dich, Opfer“ gehen kann, sondern der unweigerlich vergehenden Zeit wegen nur noch um „wir heute und die damals“, fallen diese Gründe weg. Den allermeisten heutigen Deutschen kann niemand vorwerfen, damit den Kopf aus der Schlinge ziehen zu wollen, weil sie ihn nie drin hatten; das betrifft natürlich nicht die bis heute profitierenden Arisierungs- und Zwangsarbeitsgewinnler. Man kann von ihnen aber nicht als „den Deutschen“ sprechen.

Zum Thema Versöhnungsverweigerung: Ich finde diese Haltung von Jankélévitch in ihrer radikalen Subjektivität und „Schlechtmenschigkeit“ sehr sympathisch und nachvollziehbar – die Mörder können niemals Vergebung erwarten, sie sollten für immer verflucht bleiben, und das muss auch nicht weiter begründet werden, basta! Auch diese Verweigerung kann aber nur für die Täter und ihre Komplizen selbst gelten und nicht für ihre Nachkommen. Indem Menschen wie die Autoren diese Unterscheidung konsequent verweigern, bieten sie allen kritik- und konfliktschwachen Charakteren unter den Nachkommen eine Steilvorlage zur Identifikation mit ihren eigentlich doch so verabscheuungswürdigen Vorfahren; nicht dass die Ankläger dafür dann die Verantwortung trügen – aber welchen Nutzen soll das haben? Was man Jankélévitch zugestehen kann, weil er „dabei“ und selbst bedroht war, nämlich auf Nützlichkeit oder nicht zu scheißen und einfach freimütig auszuteilen, das gilt nicht für die Nachgeborenen Jacob und Sznaider. FLORIAN SUITTENPOINTNER, Köln

Allerdings wäre es schändlich, ein Pro und Contra der nationalsozialistischen Menschenvernichtung einander gegenüberzustellen. Das versucht bisher auch niemand in der Debatte um den Bombenkrieg gegen die deutsche Zivilbevölkerung. Sonst wird sie weiterhin exekutiert.

Die Nazi-Logik wurde ja nicht erst böse, als sie Vernichtungslager für Juden und Roma einrichtete. Sie war schon böse, als die Luftwaffe die Menschen von Guernica und Warschau, von Coventry und Rotterdam, von Belgrad und überall im Osten zerbombte. Schon diese Strategie basierte auf der Logik der Massenvernichtung. Ob diese Logik moralisch wertvoller wurde, als die britische und die US-Airforce die Wohnquartiere und Menschen von Hamburg und Dresden, von Köln, Hannover, Berlin und den meisten anderen deutschen Städten in Schutt und Asche legten – die Frage muss geklärt werden. Auch angesichts der Bombardierungen von Hiroshima, Nagasaki, Hanoi und weiten Teilen Vietnams.

Es gibt zum Glück gute Gründe für die Hoffnung, dass der Holocaust ein einzigartiges Verbrechen bleiben wird. Die Logik der Massenvernichtung ist damit noch nicht gebannt. Mit welchen Mitteln sie auch exekutiert wird – ihre Wahrheit ist immer und überall die der Opfer. […] NORBERT F. KRAUSE, Berlin

betr.: „Deutsche Täter – deutsche Opfer“ (Eine Antwort von Martin Altmeyer), taz vom 18. 8. 03

Es stimmt: In der Studentenbewegung ist das Schweigen gebrochen worden, aber leider nur zum Zweck, die Täter-Opfer-Verkehrung, die schon im Antisemitismus der NS-Zeit propagiert wurde, zu wiederholen. Nun sollen die Deutschen auch Opfer gewesen sein, nachdem die völlig legitimen Bombardierungen deutscher Städte in die Nähe von Verbrechen gerückt wurden, hatten die „Vertreibungen“ noch gefehlt. Statt sich zu schämen, überhaupt daran erinnern zu wollen.

[…] Da es dieselben Leute sind, die immer fordern, einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen, sollen sie es doch mal vormachen und die historisch unvermeidlichen Umsiedlungen einfach dem Vergessen überantworten. Leider muss man nun nicht nur von den Vertriebenenverbänden das wehleidige Geschwätz über deutsche Opfer sich anhören. Die Deutschen benehmen sich wie das Waisenkind, das sein Leben im Heim verbringen muss – sein Schicksal beklagend – und sich ungern daran erinnern lässt, dass es seine Eltern ermordet hat. Nein, Opfer sind die Deutschen nicht, auch dann nicht, wenn die Taten auf sie zurückfallen. MARTIN BLUMENTRITT, Hamburg

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