: Zwischen Eis und Walen
Dias vom Meeresboden: Im Hausgarten der „Polarstern“ dokumentiert die Kamera die Lebensformen in der Tiefsee
von 78° Nord 13° WestHelmke Kaufner
Das Wetter bleibt bis zum Ende der Expedition unglaublich gut. Niemand der „alten Hasen“ an Bord kann sich daran erinnern, in diesen hohen Breiten vier Wochen am Stück eine ruhigere und stabilere Wetterlage erlebt zu haben. Die Forschungsarbeiten der Tiefseegruppe laufen deshalb mit uhrwerksartiger Präzision. Eine Wasser- und Sedimentprobe nach der anderen wird an Bord gehievt.
Hier im „Hausgarten“ kommt auch das OFOS (Ocean Floor Observing System) zum Einsatz. Es besteht aus einem stabilen Gerüst, in das – gegen Stöße geschützt – Batterien, Scheinwerfer und eine tiefseetaugliche Kamera eingehängt sind. Während einer Profilfahrt, die bis zu acht Stunden dauern kann, wird das System mit einem Stundenkilometer über den Meeresboden geschleppt. In dieser Zeit nimmt die Kamera etwa 800 Dias auf und dokumentiert so die Lebensformen auf dieser Spur.
Die Auswertung der Bilder geschieht in langwieriger, computergestützter Handarbeit nach Entwicklung der Filme zuhause. Nur ein paar Bilder am Anfang und Ende der Filme werden hier an Bord entwickelt, um festzustellen, ob das System optimal funktioniert.
Inzwischen begleiten wieder Wale das Schiff. Ein Blas hier, ein Blas da, zeigen, dass die „Polarstern“ in der Framstraße nicht allein unterwegs ist. Und kleine Eisberge, so genannte Crawler, kreuzen die Route des Schiffes. Zum Schluss der Arbeiten der Tiefseegruppe werden noch drei „Bottom Lander“ abgesenkt, die ein Jahr lang dokumentieren sollen, was auf den Meeresgrund sinkt und wie die Aktivitäten im oberen Bereich der Sedimente funktionieren.
Danach sind alle Forschungsvorhaben nach Plan beendet, jetzt steht Aufräumen auf dem Programm. Alle Labore und Arbeitsräume müssen blitzblank hinterlassen werden. Ein ganzer Tag ist dafür angesetzt, und das Ergebnis wird am nächsten Morgen durch den 1. Offizier begutachtet und abgenommen. Es ist ein Tag mit spiegelglatter See und mit der Einladung an die Fahrtteilnehmer, die „Polarstern“ von außen zu bewundern. Denn eine routinemäßige Übung steht an.
Fast alle klettern die Strickleiter runter, steigen in eines der unsinkbaren Rettungsboote und genießen die Fahrt um das Schiff. Dieser vorletzte Tag auf dem ersten Fahrtabschnitt ist ohnehin erlebnisreich: Fahrtleiter und Kapitän bitten zum Abschiedsempfang.
Abschiedsstimmung: Ein letztes Mal wird die Wäsche beim chinesischen Laundryman abgeholt. Jetzt werden Reisetaschen und Seesäcke gepackt, Visitenkarten und E-Mail-Adressen getauscht. Im Vortragsraum erläutert Thomas Soltwedel für die Tiefseegruppe, wie viel Material die Gruppe sammeln konnte und erwartet, dass nun ein arbeitsreiches Jahr für die Auswertung vor ihnen liegt.
Gegen 21 Uhr erreicht das Schiff die Küstenregion, Spitzbergen taucht am Horizont auf. In dieser Nacht schläft kaum jemand. Kurz nach Mitternacht wird es laut in den Kammern. Die „Polarstern“ zerteilt auf dem Kurs Richtung Longyearbyen dicke Eisschollen. Ungewöhnlich für diese Jahreszeit, sagen die Crewmitglieder. Aber für den Eisbrecher natürlich kein Problem.
Aber für andere. Der wachhabende Offizier entdeckt im Eis eine kleine norwegische Segelyacht. Der Skipper des Zehnmeter-Bootes erklärt über Funk: „Vor drei Tagen hatte ich einen Motorschaden. Während der Reparatur kam das Eis.“ Da kommt die „Polarstern“ gerade recht. Im eisfreien Kielwasser des Schiffes kann die Yacht die Fahrt nach Longyearbyen fortsetzen.
Am Freitagmorgen um 6 Uhr gibt Käpitän Udo Domke im Hafen von Longyearbyen das Kommando: „Lass fallen Anker!“ Der erfolgreiche erste Fahrtabschnitt der XX. Nordmeer-Expedition der Polarstern ist beendet.