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Archiv-Artikel

Die auszogen, das Fürchten zu lernen

Tief aus den Wäldern von New Jersey, wo auch das Blair-Witch-Project zuhause war: Die „Liars“ waren schon immer sehr merkwürdig unterwegs. Jetzt singen sie von unschuldigen Mädchen, die man als Hexen ertränkte, und geben so der Angst des Protestantenmenschen in uns ein Ventil. Toupierte Haare sind dabei aber nicht zu befürchten

Was Hamburgs Stadtentwicklungssenator derzeit für Wilhelmsburg oder, mehr noch, die Veddel vorschwebt – das Aufwerten eines vernachlässigten Stadtteils auf der landläufig als mäßig attraktiv angesehenen Seite des städtischen Flusses –, es hat natürlich seine Vorbilder. Wildwüchsig, nicht von städtischer Seite verordnet, trug sich etwa binnen eines überschaubaren Zeitraumes der Wandel des New Yorker Stadtteils Williamsburg zu: vom relativ erschwinglichen Geheimtipp zum bestens erschlossenen Tummelplatz für die alternative Medien- und Appartementbesitzer-Meute.

Und die Liars mittendrin: Von Williamsburg aus legten sie kurz vor Halloween 2001 ihr Debütalbum They Threw Us All In A Trench And Stuck A Monument On Top vor. Prompt erwarb sich das Quartett, Kunsthochschul-Background und sperrigem-Neo-New-Wave-Dancefloor-Verständnis sei Dank, den Ruf als Hipster-Veranstaltung, typisch für die reüssierende Ostküsten-Metropole.

Waren die Liars schon damals viel merkwürdiger unterwegs als die musikalisch benachbarten Yeah Yeah Yeahs, Radio 4 oder auch !!!, haben sie in der Zwischenzeit nicht nur Williamsburg den Rücken gekehrt, sondern auch der ungeliebten Schublade „Post-Punk Brooklyn Art-Dance“, wie Sänger Angus Andrew es formuliert. Der wohnt heute in einem Haus „tief in den Wäldern von New Jersey“, und hier nahm die zur Hälfte umbesetzte Band ihr zweites Album auf.

Und als führte im gefühlt ältesten Teil der Vereinigten Staaten, in etwa dort, wo sich auch The Blair Witch Project zutrug, kein Weg daran vorbei, geht es auf They Were Wrong, So We Drowned um Angst erfüllte Protestantenmenschen und scheinbar andere Lebensformen, um tief verwurzelten Glauben und den Trost einfacher Lösungen, kurz: um Hexenfolklore und -verfolgung. „Wir erzählen die beiden Seiten der Geschichte“, so Andrew, „die der ängstlichen Dorfbewohner, die wirklich an böse Hexen glauben. Und die der bedauernswerten ertränkten Mädchen, die verdächtigt wurden, welche zu sein.“

Gaben sie sich auf dem Album düster und zerfahren, beeinflusst von deutscher Industrial-Zerstörungsfreude und den wenig songtauglichen Tapemanipulationen britischer Experimental-Post-Punks, könnten Liars jetzt wieder ganz anders daherkommen. So lässt der Presse-Beauftragte ihres deutschen Labels für das verspätete Hamburg-Gastspiel durchblicken, es handele sich um eine „besondere“ Tour, „irgendwie Lo-Fi“. Was immer das heißen mag – geblieben ist der Band wohl das höchst eigene Humorverständnis, und bei aller Hexenmaterie wird das eben keine Toupierte-Haare-und-Schwarzkittel-Sause heute am Nobistor. Alexander Diehl

Heute, 21 Uhr, Weltbühne