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Archiv-Artikel

Talent ist nicht genug

Trotz der Plätze zwei und vier herrscht bei T-Mobile dicke Luft. Vor allem Ullrichs laxe Einstellung ist wieder mal Thema. Zumal auch Andreas Klöden bisher das Winner-Gen hat vermissen lassen

AUS PARIS SEBASTIAN MOLL

Walter Godefroot wollte die Partystimmung nicht verderben, und so hielt er sich lieber fern. Also zeigten sich lediglich Jan Ullrich und Andreas Klöden am Abend nach dem Einzelzeitfahren im Konferenzsaal des Parkhotels Besançon, idyllisch in den Auen der Doubs gelegen. Die beiden Jugendfreunde hatten sich gerade die Plätze zwei und vier bei der Tour de France gesichert und steckten – nach Tagen der Abschottung – in der Euphorie vollbrachter Taten voller Mitteilungsdrang.

Doch die anwesenden Journalisten wollten sich nicht so richtig von den glühenden jungen Männern anstecken lassen. Denn am Vormittag hatte Godefroot, der Teamchef von Ullrich und Klöden, in der französischen Presse ordentlich Dampf abgelassen. Über die mangelnde Professionalität Jan Ullrichs hatte er sich einmal mehr beschwert („Talent allein reicht nicht. Ich weiß nicht, ob er mit dieser Einstellung noch Mal die Tour gewinnen kann“), über das Team im Team mit dem merkwürdigen Konstrukt, dass Ullrich sich ausgerechnet Rudy Pevenage als Berater ausgesucht hat, mit dem Godefroot nicht mehr reden mag. Und darüber, dass ihm, Godefroot, von Konzernseite die Hände gebunden gewesen seien, Andreas Klöden zum Kapitän zu erheben, weil man die Galionsfigur einer Multimillionen-Euro-PR-Kampagne nicht einfach so austauschen kann.

Das alles wussten Ullrich und Klöden nicht, und so war Jan Ullrich einigermaßen verdutzt, als die deutsche Presse nicht in seine Zufriedenheit über eine letztlich doch noch gelungene Tour und seine Freude über die tolle Leistung seines Kumpels „Klödi“ einstimmen wollte. Ullrich spürte den Widerstand der Presse und wurde unruhig – immer wieder machte er auf die gelungene sportliche Mannschaftsbilanz aufmerksam und appellierte daran, doch das Erreichte und die große sportliche Leistung von ihm selbst, „Klödi“ und den anderen zu respektieren.

Mit diesem verzweifelten Aufruf hatte der Ex-Merdinger sicherlich recht. Ullrich hatte sich nach zwei schwarzen Tagen in den Pyrenäen berappelt, hatte nicht resigniert, hatte Kampfgeist gezeigt. Und hatte Charakter bewiesen, als er sich – der Konzernpolitik zum Trotz – auf dem Rad für Klöden eingesetzt hatte, insbesondere auf der letzten Alpenetappe, die der Freund beinahe gegen Lance Armstrong gewonnen hätte. Klöden bedankte sich dafür und erinnerte daran, dass das nun nicht selbstverständlich sei. 1996, erinnerte Klöden, sei Ullrich auch stärker gewesen als Riis – und Riis habe Ullrich trotzdem nicht die Vorfahrt gelassen. Und selbstverständlich war es großartig, wie Andreas Klöden in den Alpen und den Pyrenäen furchtlos mit den ganz Großen seiner Zunft mitradelte und wie er im abschließenden Zeitfahren in Besançon dann im Sekundenkampf den Italiener Basso niederrang, um Tourzweiter hinter Armstrong zu werden.

Ulle und Klödi hatten schönen Sport geboten und Kameradschaft sowie Kampfgeist bewiesen. Ihre Tragödie ist jedoch, dass sie sich an einem Besessenen messen lassen müssen. „Harte Arbeit“, nennt Lance Armstrong, der nun sechsfache Tour-König, sein Erfolgsgeheimnis – und er selbst weiß, dass diese Bezeichnung ein Euphemismus ist. „Wenn man mich fragt, was ich am Weihnachtstag mache, ist die Antwort: Rad fahren. Wenn man mich fragt, was ich am ersten Januar mach ist die Antwort: Rad fahren“, sagt er. Sein Toursieg sei Resultat einer 365 Tage andauernden Anstrengung, sagt er, und kann sich einen Seitenhieb auf seine deutsche Konkurrenz nicht verkneifen. „Habe ich sechs Wochen vor der Tour 10 Kilo Übergewicht? Bestimmt nicht.“ Mehr noch sogar: „Alle bei uns haben die gleiche Einstellung – es bin nicht nur ich, der für die Tour lebt und atmet, es ist das ganze Team.“

Als Walter Godefroot am Sonntagmorgen die Worte Armstrongs in der Zeitung gelesen hat, muss er unwillkürlich emphatisch mit dem Kopf genickt haben. So eine Mannschaft wünscht er sich auch, doch der 61-Jährige glaubt nicht mehr wirklich daran, dass das jemals passieren wird. „Wenn Jan im Januar nicht trainieren will, dann kann ich das wohl nicht ändern.“ Eine Kombination aus der Professionalität Erik Zabels und dem Talent Ullrichs wünscht er sich. Das, so Godefroot, wäre der neue Eddy Merckx.

Auch Andreas Klöden besitzt ganz offensichtlich großes Talent. Und seit er mit dem Erfolgstrainer Thomas Schediwie zusammenarbeitet, wohl auch ein gerüttelt Maß an Professionalität. Den Biss eines Armstrong hat aber auch er bislang vermissen lassen. Als Armstrong sich vornahm, die Tour zu gewinnen, war er zuvor Vierter der Spanienrundfahrt geworden. Klöden ist nun Zweiter der Tour, aber seine Ziele sind, im nächsten Jahr wieder mit seinem Kumpel Ulle zusammen zu trainieren, der im Nachbarort am Bodensee wohnt. Und wieder zusammen bei T-Mobile die Tour zu fahren, weil es so viel Spaß gemacht hat. Davon, im nächsten Jahr den Toursieg anstreben zu wollen redet Klöden nicht. Das mag irgendwie sympathisch, weil bescheiden und kumpelhaft klingen. Einem Killertypen wie Lance Armstrong aber entlockt es bestenfalls ein Lächeln.