: Nicht links, auch nicht neu
Eine junge Gruppe der Grünen mit dem Namen „Netzwerk Realismus & Substanz“ hat sich an einen Programmentwurf gewagt. Sein Titel, „Links Neu“, ist ein doppelter Etikettenschwindel
VON GUIDO KIRSTEN
Wer im beginnenden Sommerloch seinem Programmentwurf einen Titel wie „Links Neu“ gibt, weiß sich einer gewissen öffentlichen Aufmerksamkeit sicher. Die jungen grünen Politiker des „Netzwerks Realismus & Substanz“ sind Medienprofis genug, um sich mit klug gewählten Schlagwörtern ins medienpolitische Rampenlicht zu schreiben. Ihre Parole „Links Neu“ richtet sich einerseits gegen grüne Modernisierer, die der ideellen Entwurzelung anheim fallen und so Gefahr laufen, der Stammklientel das Produkt „Die Grünen“ madig zu machen. Deswegen „links“. Auf der anderen Seite scheuen die neuen Realos nichts so sehr wie linken Traditionalismus, bei dem sie wahrscheinlich an Trillerpfeifen und Achselschweiß der von Mitgliederschwund, Korruption und Peinlichkeit gebeutelteten deutschen Industriegewerkschaften denken. Deswegen also „neu“.
Inwiefern aber lässt sich „Links Neu“ links oder wenigstens neu oder irgendwie neu-links verstehen?
Was die assoziierten Junggrünen so bezeichnen, ist nichts anderes als die klassische Realo-Position: Marktwirtschaft ja, aber bitte sozial und ökologisch. Als links kann das nur gelten, wenn die geheime Prämisse lautet, dass als Maßstab die aktuelle Parteienlandschaft gilt und sonst nichts.
Am fragwürdigsten an der eigenen Linksverortung ist, dass sie vor dem Hintergrund der klassischen „There is no alternative (to capitalism)“-Position stattfindet, die von Anfang der Achtziger bis etwa Mitte der Neunziger „State of the Art“ war. Gerade dieses Axiom wurde durch die globalisierungskritische Bewegung, die auf die verheerenden Folgen der Weltkapitalisierung reagiert, problematisiert. Womit wir beim nächsten Punkt wären.
Heute ist es einfach nicht mehr möglich, nette Forderungen nach environmental und global justice aufzustellen ohne zumindest ansatzweise zu analysieren, ob nicht auch kapitalistische Strukturgesetze (Markt, Konkurrenz, Expansion) für deren Suspendierung verantwortlich sind. Stattdessen zeigen die grünen Yuppies mit dem Finger auf prinzipienlose oder -untreue Kollegen aus dem politischen Establishment. Diese Analyseschwäche manifestiert sich an vielen Stellen. So heißt es auf Seite 16 der langen Version von „Links Neu“ (www.links-neu.de): „Die Globalisierung der Weltwirtschaft führt dazu, dass unser Sozial- und Wirtschaftssystem mit anderen Wirtschaftsordnungen zunehmend konkurriert.“ Das ist natürlich Unsinn, wissen wir doch, dass sich die Zeit der Globalisierung gerade dadurch auszeichnet, dass nur noch eine Wirtschaftsordnung der Welt ihren Lauf diktiert und dass die Konkurrenz nicht zwischen „unserem“ System und anderen stattfindet, sondern just zwischen Sozialstaatlichkeit und Ökonomie. Gleich der folgende Satz verrät die Naivität, mit der die Autoren über solche Spitzfindigkeiten hinwegsehen, behaupten sie doch: „Ein leistungsfähiges Sozialsystem für alle Schichten der Bevölkerung im Sinne des kontentinaleuropäischen Sozialmodells ist dabei ein Standortvorteil.“
Witzig nicht nur, dass hier der ersehnte europäische „Standortvorteil“ die eigene Weltgerechtigkeitsrhetorik konterkariert. Noch erstaunlicher, dass sich die Autoren erdreisten, gerade den Sozialstaat als solchen zu proklamieren, während Rot-Grün ihn unter Verweis auf Standortnachteile im Vergleich zu den Billiglohnländern demontiert.
Die Neue Linke wäre jedenfalls etwas völlig anderes. In „Links Neu“ heißt es ganz richtig, Gerechtigkeit dürfe nicht an der „verkürzten Wahrnehmung des Konflikts zwischen Arbeit oder Kapital“ (S. 8) gemessen werden. Schade nur, dass die folgerichtige Bemühung, diesen Konflikt unverkürzt in den Blick zu nehmen, mit keiner Silbe unternommen wird. Dass Ausbeutung inzwischen andere (anonymere) Formen angenommen hat; dass die von den Autoren so geliebten Marginalisierten nicht von der Gesellschaft gerettet, sondern durch diese produziert werden; dass es vielleicht auch andere Möglichkeiten menschlichen Zusammenlebens geben könnte als Marktökonomie oder Staatsplanwirtschaft, ist nun wahrlich kein Geheimwissen. Für die neue Linke wäre es der Minimalkonsens.
Klaus Müller, Tarek Al-Wazir und ihre Mitautoren werden dies wohl erst merken, wenn es für die Grünen zu spät ist. Die globalisierungskritische Jugend ist gegenüber jeder Parteipolitik vorsichtig geworden. Schon deswegen wird sie den „Links Neu“-Köder nicht schlucken. Letztendlich kapitulieren die ehrgeizigen Enkel Joschkas vor dem Bestehenden. Ihre „Zumutungen“ werden niemand provozieren. So schade das ist: Ihr Aufbruch ist keiner.