: Nacktfleisch mit Biosiegel
Im Verborgenen wächst der Trend zu privaten Aktaufnahmen. Jetzt hat die Ökopostille „Torfkurier“ im Landkreis Rotenburg die Zeichen der Zeit erkannt
Die Provinz ist antizyklisch. Speziell die an der Wümme zwischen Hamburg und Bremen gelegene. Während die EU über Nacktbildzensur nachdenkt und der US-Handelsriese Wal Mart Illustrierte wie Cosmopolitan und Marie Claire nur noch in blickdichten Schutzumschlägen verkauft, haben die Ottersberger Bioläden gerade ein veritables Aktmagazin in die Auslagen gelegt: Den Torfkurier.
Wie der Name vermuten lässt, handelt es sich dabei um kein genuines Nackedei-Heft. Sondern um die monatlich in den Landkreisen Rotenburg/Wümme und Verden erscheinende Öko- und Kulturpostille. Man habe mal „was anderes“ ausprobieren wollen, sagt Herausgeber Götz Paschen. Statt Lehmofenbau und terre des hommes-Bazar füllen jetzt also wohl proportionierte junge Frauen die (nach wie vor auf Umweltschutzpapier gedruckten) Seiten.
Auf dem Cover hätte Paschen nach eigenem Bekunden zwar lieber „einen dicken alten Mann“ statt der abgebildeten, nur mit Wadenwärmern bekleideten Frau gehabt. Nur: „Interessierte Faltige“ habe man vergeblich gesucht. Dafür erzählen im Inneren des 36-Seiten-Heftes junge Paare von ihren Shooting-Erfahrungen, und die Frauenbeauftragte des Landkreises nimmt Stellung zum „steigenden Trend“ privater Nacktaufnahmen in Studios: „Das gibt Frauen die Möglichkeit, ihre eigene Schönheit zu entdecken.“
Das Verbreitungsgebiet des Torfkuriers ist eine alternative Enklave. Hier florieren Projekte wie die „Fahrraddiebstahl-Solidargemeinschaft“ und der „Torfdollar“-Tauschring. Auch das Künstlerdorf Fischerhude und eine anthroposophische Kunsthochschule sind hier angesiedelt. Getreu dem Motto, ländliche Potenziale darzustellen und so der Abwanderung entgegenzuwirken, haben die HeftmacherInnen das Terrain abgegrast und erstaunlich viele FotografInnen mit Aktkundschaft entdeckt.
Eine erzählt: „Es ist viel einfacher, eine nackte Frau zu fotografieren als einen Mann – da rutschen die Bilder schnell ins Lächerliche ab.“ Ein anderer gibt den Tipp, vor dem Fototermin keine Unterwäsche anzuziehen, „um Abdrücke zu vermeiden“.
„Früher war die Ökologie-Bewegung erotikfeindlich“, sagt Paschen, der es wissen muss. Mit 14 begann er, Naturschutz-Rundbriefe zu schreiben, war dann freier Mitarbeiter bei Ökotest und Aktiv Radfahren, vor zehn Jahren hat er den Torfkurier erfunden. Mit in der Landschaft aufgestellten Briefkästen als Kommunikationsmedium, weil Telefon und Fax zunächst unerwünscht waren.
Und heute? Wie reagieren die 1.500 LeserInnen des zeitgeist-unverdächtigen Blattes auf die fleischliche Offensive? Der Wechsel von der Blaualgenplage im örtlichen Badesee, Aufmacher des vorigen Heftes, zum Thema Akt sei gut angekommen, sagt Paschen. „Schön was zu gucken“, hätten viele – nicht nur Männer – gesagt.
Trotzdem wird sich das Septemberheft einem eher unerotischen Thema widmen – der niedersächsischen Schulpolitik. Aber, sagt Paschen mit Blick auf die gerade entdeckte Sinnenfreude: „Ich fände es schön, wenn wir dies künftig irgendwie integrieren könnten.“ Im Wal-Mart will er sein Heft sowieso nicht verkaufen. HENNING BLEYL