Neues vom chinesischen Armutswunder

Keine Regierung hat die Unterentwicklung seit den 1990er-Jahren so erfolgreich bekämpft wie die Pekinger Kommunisten. Hohes Wachstum war entscheidend. So rettet China das UNO-Ziel der Armutshalbierung bis 2015

PEKING taz ■ Alles schuldet China der Armutsbekämpfung: zurückliegende Erfolge, gute Zukunftschancen und die Legitimation seiner kommunistischen Regierung. Da traf es sich gut, dass die Weltbank ihre erste globale Konferenz zur Armutsbekämpfung in diesem Mai in Schanghai tagen ließ. Seither gibt es die „Schanghai-Agenda zur Armutsbekämpfung“. Es ist der erste Versuch, das große Millenniumsziel der Vereinten Nationen, die Halbierung der weltweiten Armut bis 2015, in konkrete Schritte umzusetzen.

„Chinas Reformpolitik der letzten 25 Jahre ist der erfolgreichste Fall von Armutsbekämpfung, den die Menschheit je erlebt hat“, sagt Deepak Bhattasali, der indische Chefvolkswirt der Weltbank in Peking. 400 Millionen Chinesen sind nach der Definition der Weltbank, welche die Armutsgrenze beim Tagesverbrauch von einem US-Dollar festlegt, im letzten Vierteljahrhundert der Armut entkommen. Während die Statistiken 1990 rund 270 Millionen Chinesen unter dieser Armutsgrenze verzeichneten, waren es 2000 noch gut 100 Millionen Menschen. Im März diesen Jahres nannte die Regierung eine neue Zahl: 85 Millionen. Die Fortschritte in China sind der wesentliche Grund dafür, dass das UNO-Ziel zur Halbierung des Anteils der Armen bis 2015 weltweit wohl einzuhalten ist.

Die gelinderte Armut verschafft der chinesischen Regierung ihr wichtigstes Legitimationszeugnis. Keine westliche Menschenrechtskritik kann umgehen, dass die Pekinger Führung, trotz Folter, Freiheitsverboten und der rücksichtslosen Verfolgung politischer Gegner, mehr als jede andere Regierung in der Welt für die sozialen Menschenrechte getan hat. Wobei ihre Rezepte nur selten kommunistisch sind. „Die stärkste Wirkung hat in China die Wachstumspolitik“, sagt Chefökonom Bhattasali. Er unterscheidet drei Felder der Armutsbekämpfung: Wachstumsförderung, Gesundheits- und Erziehungspolitik sowie direkte Hilfsmaßnahmen für Alte, Kranke und andere Bedürftige. Gut seien die Chinesen vor allem auf dem ersten und dritten Gebiet: Wachstumsförderung und direkte Hilfe.

So sorgte ein gerechte Landreform in den Siebzigerjahren dafür, dass die Bauern ihre Chance auf dem freien Markt nutzen konnten. Daraufhin förderte Peking in den Achtzigerjahren die Entstehung kleiner Betriebe auf dem Land. Erst danach wurden in den Neunzigerjahren die Türen zum globalen Kapitalismus geöffnet. Währenddessen erfand Peking immer neue Formen der Umverteilung für die Armen, die sich insbesondere unter den zahlreichen, jedes Jahr wiederkehrenden Naturkatastrophen bewährten: etwa Nothilfen für Flut- oder Dürreopfer, deren Zahl in China schnell in die Millionen steigt.

Rückständig bleibt dagegen die chinesische Sozialversorgung. „Statt wie bisher nach Dörfern und Regionen muss sich die chinesische Armutsbekämpfung in Zukunft nach jedem einzelnen Bürger richten“, empfiehlt Bhattasali. Tatsächlich ist China vor allem auf eine neu entstehende Armut in den Städten nicht eingerichtet. GEORG BLUME