„Die Ostshows sind zynisch“

Das ZDF hat schon, zum Wochenende bringen nun auch die anderen Sender Ostalgieshows satt. Für diese seichte Vermarktung des bereinigten DDR-Alltags hat der Soziologe Wolfgang Engler („Die Ostdeutschen“) nur einen Kommentar: „geschmacklos“

Interview MATTHIAS BRAUN

Nach dem Erfolg der Ostalgieshow im ZDF streiten ehemalige DDR-Bürger über deren Sinn. Manfred Stolpe sagte gestern, es sei ein Fehler, so zu tun, als wäre die DDR nur ein finsteres KZ gewesen. Der ehemalige Bürgerrechtler Günter Nooke fragte hingegen, wie groß das Geschrei wäre, moderierte Johannes Heesters eine Dritte-Reich-Show. Der ostdeutsche Soziologe Wolfgang Engler mag DDR-Retroformate auch nicht. Im Interview erklärt er, warum diese gerade jetzt so erfolgreich sind. Mit „Die Ostdeutschen – Kunde von einem verlorenen Land“ und „Die Ostdeutschen als Avantgarde“ schrieb Engler zwei einflussreiche Sachbücher über ostdeutsche Befindlichkeit nach dem Mauerfall.

taz: Herr Engler, stehen Sie schon auf der Gästeliste einer Ostalgieshow?

Wolfgang Engler: Auf keiner einzigen. Und das wird so bleiben.

Warum verweigern Sie sich?

Mir wäre es unangenehm, in einer Sendung aufzutreten, die die DDR zur Abwechslung mal nicht skandalisiert, sondern festivalisiert. Weder das Bild von der finsteren Stasihöhle noch das vom skurrilen Tempo-Erbsen-Sozialismus werden der DDR gerecht.

Was läuft da schief?

Die Shows vermarkten einen bereinigten DDR-Alltag. Es gibt da keinen Moment, in dem die diktatorische Seite dieses Staates in den Blick gerückt wird. Das tun zu wollen, widerspräche schlichtweg dem Unterhaltungsformat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass in einer solchen Sendung der Bautzener Gefangenenchor aufträte und „Macht auf die Tür, die Tor macht weit“ sänge.

Jetzt werden Sie zynisch.

Nicht ich bin zynisch, sondern die Ostshows sind es. Dass in ihnen die unangenehmen DDR-Erinnerungen einfach ausgeblendet werden, ist zynisch und geschmacklos. Die MDRisierung des deutschen Fernsehens ist eine Entwicklung, die ich nicht gut finde.

Jeder dritte Ossi hat am vergangenen Sonntag die Ostalgieshow im ZDF gesehen. Warum ist das Format so erfolgreich?

Da kommt zweierlei zusammen. Seit dem Zusammenbruch der DDR ist einige Zeit vergangen. Wunden haben sich geschlossen. Deswegen kann man vielen Dingen heute entspannter begegnen. Hinzu kommt, dass die Ostalgie ein unbestimmtes Verlustgefühl der Ostdeutschen auffängt. Die möchten sich erinnern, aber die Gelegenheiten in der Öffentlichkeit sind rar.

Nahmen die Medien bisher zu wenig Rücksicht auf ostdeutsche Befindlichkeiten?

In den Sendern bemüht man sich schon. Aber wenn ich die Dokumentarfilme der letzten Zeit noch einmal Revue passieren lasse, dann thematisierten diese selten den Alltag. Die Honeckers privat, Lotte Ulbricht privat, Honeckers Flucht und so fort – die gesellschaftliche Normalität kommt da kaum vor. Die Alltagsshows setzen sich wie Parasiten auf das Erinnerungsbedürfnis.

Fast alle großen Sender heben derzeit solche Shows ins Programm. Hat sich innerhalb der Sender etwas verändert?

Die ZDF-Show wird von Andrea Kiewel moderiert. Die ist so jung, dass sie von den dunklen Seiten der DDR nur wenig weiß. Das erleichtert es ihr natürlich, einen weniger problemorientierten Zugang zum Arbeiter-und-Bauern-Staat zu präsentieren. Wir erleben derzeit, wie eine jüngere DDR-Generation allmählich die Deutungshoheit über die ostdeutsche Geschichte an sich zieht. Denken Sie nur an Bücher wie „Zonenkinder“ oder Filme wie „Sonnenallee“.

Die Heimatfilme der 50er-Jahre trösteten die deutsche Nachkriegsgesellschaft mit Naturaufnahmen. Übernehmen Ostprodukte heute diese Trösterfunktion?

Es gibt da einen Unterschied. Anders als Wald und Wiese haben die Ostprodukte im Laufe der Zeit einen anderen Sinn bekommen. Zu DDR-Zeiten hat sich nie einer wirklich ein DDR-Erzeugnis gewünscht. Heute funktionieren sie als Zitate einer verlorenen Lebenswelt. Sie bieten Anlass, sich an früher zu erinnern. Aber sie sind nicht das Ziel dieser Erinnerung. Ostprodukte helfen, soziale Erfahrungen zu speichern. Denn ein Produkt, dessen Äußeres mich abstößt und das in seiner Funktion enttäuscht, weckte weder zu DDR-Zeiten Begehren, noch tut es das heute.

Jetzt haben Sie eine Menge kritisiert, aber noch nicht verraten, welcher Ostthemen die Sender sich annehmen sollten.

Das, was wichtig wäre, kann das Fernsehen kaum leisten. Mehr noch als im Westen definierten sich die Menschen im Osten über ihre Lohnarbeit. Nicht über deren Vollzug, sondern über das Drumherum: den sozialen Austausch oder Kulturangebote und Dienstleistungen, die von den Betrieben bereitgestellt wurden. Wer in Ostdeutschland heute keine Arbeit hat, dem fehlt deshalb auch vieles andere. Dieser Verlust lässt sich nicht einfach ausgleichen. Weil Arbeit und soziales Dasein in der DDR so eng miteinander verknüpft waren, können vor allem ältere Ostdeutsche beides kaum voneinander unabhängig denken.

Heißt das, das Fernsehen soll sich überhaupt nicht um Ostthemen kümmern?

Nein, es gibt ja Lichtblicke. Vor ein paar Wochen setzte das ZDF die heutigen Lebens- und Arbeitsverhältnisse der Ostdeutschen engagiert und ernsthaft in Szene. In Sabine Lehmanns Film „Hunger nach Anerkennung – Vom Leben ohne Arbeit“ wird der Phantomschmerz einer Gesellschaft gezeigt, der die Arbeit abhanden kam. Ich wünsche mir mehr solche leisen Filme, die die ostdeutsche Krisensituation produktiv verarbeiten.