piwik no script img

Archiv-Artikel

Querköpfe und Außenseiter

Wissenschaftler, die nicht über sich selbst lachen können, sollten die Finger davon lassen: Die „Zeitschrift für nicht reproduzierbare Ergebnisse“ zeigt tiefgründig und nicht ohne Ironie, wie absurd Wissenschaft tatsächlich sein kann

Genau das, was in den exakten Wissenschaften nicht sein darf, beweist statistik- und laborgetestet alle zwei Monate das Journal of Irreproducible Results (JIR). Seit 1954 erscheint die Zeitschrift der „Gesellschaft für nicht reproduzierbare Grundlagenforschung“, mit einem hochrespektablen Redaktionsgremium.

Von der Biochemie über die Genetik, die Ingenieurswissenschaften und die Radiologie bis zur Ozeanografie ist alles dabei. Es wimmelt von akademischen Graden renommierter Universitäten. „Das Komischste, was den Wissenschaften passiert ist, seit Archimedes nackt durch die Straßen von Syrakus lief“, hieß es aus den naturwissenschaftlichen Kreisen. Kostproben aus den Heften sollten mit einer Warnung versehen sein: Exakte Wissenschaft kann tödlich ausgehen. Dass falsche Planquadratangaben zu friendly fire führen, dass der Krieg für Mathematiker und NaturwissenschaftlerInnen ein Experimentierfeld mehr ist, haben wir mitbekommen.

Technischer Fortschritt und das Ende des Vietnamkonflikts: das Journal berichtete aus der Forschung, dass der – nie offiziell deklarierte – Vietnamkrieg mit der Produktion von Zinn für Getränkedosen begann und endete. Für die beliebten Trinkgefäße war Stahl allein ungeeignet, sie mussten mit flexiblerem Metall umkleidet werden. Mit der Entsendung von US-Beratern nach Südvietnam 1954 erreichte die Zinnverwertung 35.000 Tonnen jährlich, um dann abzusinken, als immer mehr Aluminium verwendet wurde. Die Talsohle wurde 1973 mit etwas über 15.000 Tonnen erreicht, prompt folgten die Friedensverträge und der Abzug aus ganz Vietnam. Wem dazu „Vulgärmarxismus“ oder „Kein Öl für Blut“ einfällt, sei ermahnt: Statistiken sind exakt.

Beschreibung des Glückszustands und Index für seine Quantifizierung: dieser Journal-Beitrag definiert den Glücksindex über die vorauszusehende Lebenszeit als Grad der Wahrscheinlichkeit, dass in Situationen, die nicht gesteuert oder berechnet werden können, das herauskommt, was den eigenen Wünschen entspricht. Die Person sitzt in einem Zug, der auf einen anderen zurast; die Formel erlaubt es zu berechnen, ob die Wahrscheinlichkeit des Überlebens beim Herausspringen in voller Fahrt höher als 0,05 Prozent angesetzt werden kann. Berechnet werden kann auch, wie die Wiederholung jeweils das absolute Glück vermehrt, relativ gesehen jedoch per Hab-ich-schon-Langeweile den Zuwachs mindert. Da auch die übernatürlichen Kräfte quantifiziert werden, will der Autor die Voraussagefähigkeit des Index nicht allein testen. Wer sich also in ein menschliches Wesen verliebt hat, das ihn oder sie selig macht, kann sich als Forschungs-Subjekt(-Objekt) melden.

Das JIR ist die weltweit ersehnte „unterbliebene Nachricht“, dass es reichlich Querköpfe auch unter Dipl-Ings und NaturwissenschaftlerInnen gibt. 1994 ist nach gnadenlosem Streit ein Konkurrenzblatt aus der Redaktion hervorgegangen, dem ersten spinnefeind: die Annals of Improbable Research (AIR). Die „Ig Nobel Prizes“ für besonders absurde wissenschaftliche Leistungen wurden zuerst vom JIR feierlich vergeben, seit 1994 von den AIR. Nun, wenn’s der Wahrheitsfindung dient, dem Witz hat der Zoff nicht geschadet.

RICHARD HERDING

Infos: www.jir.com, www.improb.com