KGB-Überfall im Morgengrauen

Ein Jungsozialist wird von den weißrussischen Behörden ausgewiesen. Er soll bei Demokratie-Seminaren mit Jugendlichen zur Arbeit gegen Staatspräsident Lukaschenko aufgerufen haben. Der macht derweil sowieso wieder Jagd auf seine Kritiker

von BARBARA OERTEL

Weißrusslands Botschafter in Brüssel könnte in Kürze einen unangenehmen Termin im Europäischen Parlament haben. „Auf diesen Vorfall müssen wir reagieren, auch im Sinne eines Signals an die weißrussische Bevölkerung. Diese neue gezielte Maßnahme einer Selbstisolation der Staatsführung können wir nicht hinnehmen“, sagt die grüne Europa-Abgeordnete und Berichterstatterin für Weißrussland Elisabeth Schroedter.

Anlass für die Aussprache ist die Ausweisung des Deutschen Jan Busch. Am vergangenen Samstag war der 30-Jährige um 6.45 Uhr von Mitarbeitern des weißrussischen KGB in seiner Unterkunft in der Kleinstadt Schlobin aus dem Bett geholt und über seine sofortige Ausweisung informiert worden. Mit einem ungültig gestempelten Jahresvisum war er anschließend zum Flughafen der rund 240 Kilometer entfernten Hauptstadt Minsk gebracht und dort – in Anwesenheit eines Teams des staatlichen weißrussischen Fernsehens – gezwungen worden, mit der 12-Uhr-Maschine nach Warschau das Land zu verlassen.

Die Begründung ist für weißrussische Verhältnisse alles andere als ungewöhnlich. So soll Busch während eines Seminars mit weißrussischen Jugendlichen zur Vereinigung der Opposition und zur Arbeit gegen Staatspräsident Alexander Lukaschenko aufgerufen haben. Zudem hätten an dem Seminar Vertreter nichtregistrierter Organisationen teilgenommen. Unter der Überschrift „Busch des Landes verwiesen“ setzte die Tageszeitung Sowjetskaja Belorussia (Sowjetisches Weißrussland), Sprachrohr des autoritären Staatschefs, noch eins drauf. Busch habe zu Maßnahmen aufgerufen, die auf eine Änderung der Innen- und Außenpolitik des Landes zielten. Buschs Tätigkeit sei als Versuch zu qualifizieren, die Voraussetzungen für eine Destabilisierung des gesellschaftlichen Konsenses zu schaffen – auch auf dem Weg einer ungesetzlichen Finanzierung.

Seinen, Minsker Lesart zufolge subversiven und kriminellen Tätigkeiten geht Busch in Weißrussland schon seit 2000 nach. Als Vorstandsmitglied der Jungsozialisten Nordrhein-Westfalen, die eng mit den oppositionellen weißrussischen Sozialdemokraten von Nikolai Statkewitsch zusammenarbeiten, war er federführend an Schulungen von Vertretern unabhängiger Jugendorganisationen zu Fragen kommunaler Demokratie und Selbstverwaltung beteiligt. Das überparteiliche Projekt wird aus Mitteln des Auswärtigen Amtes finanziert und war bei den weißrussischen Behörden ordnungsgemäß angemeldet worden. Das Seminar in Schlobin war in diesem Jahr die vierte derartige Veranstaltung in Provinzstädten.

„Die Vorwürfe gegen mich entspringen der Fantasie der weißrussischen Behörden“, sagt Jan Busch. Zudem seien die Seminare für alle Jugendlichen offen gewesen. Mittlerweile ist auch das Auswärtige Amt in dieser Angelegenheit tätig geworden. So wurde der Geschäftsträger der Weißrussischen Botschaft in Berlin bereits am Montag einbestellt, wie eine Sprecherin mitteilte. Dabei habe die Bundesregierung Befürchtungen hinsichtlich der Entwicklung von Demokratie und Rechtstaatlichkeit in Weißrussland geäußert und den Vorgang als Belastung der bilateralen Beziehungen bezeichnet.

Ob das etwas nützt, ist fraglich – läuft doch bereits seit Monaten wieder eine regelrechte Hetzjagd auf Lukaschenkos Kritiker. So wurden mehrere oppositionelle Zeitungen geschlossen und ausländische Nichtregierungsorganisationen hinausgeworfen. Bei einer Pressekonferenz vor 70 russischen Journalisten machte Lukaschenko unlängst keinen Hehl daraus, sein Präsidentenmandat auch über 2006 hinaus verlängern zu wollen. „Ich habe die Opposition gewarnt, dass ich diesen Weg gehen werde“, sagte Lukaschenko. „Nämlich dann, wenn sie weiter dazu beiträgt, die Situation in diesem Land immer absurder zu machen und drohende Instabilität und Unkontrollierbarkeit zu schaffen.“