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Archiv-Artikel

Codewort: Hammelsprung

Hamburger Realität: Früher Terrornest, heute Liebeshöhle. taz findet heraus: Die Springer-Presse hat sich vom Justizsenator täuschen lassen. Der wahre Swinger-Club befindet sich am Rathausmarkt

„Ab und zu bei Geberlaune dürfen auch die Roten und Grünen mal rein“

von PETER AHRENS

„Im etwa 80 Quadratmeter großen Wohn-/Essbereich stehen zwei schwarze Ledercouchen (ein Dreier und ein Zweier), davor ein kleiner, runder Glastisch. Auf dem steht das Tonbandgerät, in das Kusch spricht.“ Bild, 21. August 2003

Mit wohligem Schaudern betreten wir die Liebeshöhle. Lüster an der Decke, schwüle warme Wandfarben, fließende Formen, Parfümgeruch. Nachdem Bild („Ein Fernseher ist in der ganzen Wohnung nicht zu entdecken“) und Abendblatt („geräumige, modern eingerichtete Altbauwohnung“) bereits die Gelegenheit hatten, zum Topfgucken beim Justizsenator am Hansaplatz vorbeizuschauen, hat die taz recherchiert: Roger Kusch täuschte die Springer-Presse, indem er den arglosen Berichterstattern („Im Schlafzimmer stehen außer einem flachen Doppelbett ein Schreibtisch, Kleiderschränke, ein gewaltiger Kaktus und eine Bananenpflanze“) die falsche Wohnung präsentierte. Erst der taz gelang es, die wahre Heimstätte der Hamburger Polit-Erotik ausfindig zu machen. Adresse: Rathausmarkt 1.

Auf die Spur, dass der clevere Senator („ein Mann mit klarem Blick und vollen Lippen. Seine Haare trägt er gern gestruwwelt“) die Journalisten ausgetrickst hatte, brachte uns Drag-Queen Olivia Jones, die im NDR-Interview ihr Expertinnen-Urteil abgab: „So geschmacklos, wie die Wohnung eingerichtet ist, kann der Mann nicht schwul sein.“ Ganz anders das wahre Kuschelnest, ein mächtiger Bau mitten in der Stadt. Hier werden Potenzphantasien befriedigt.

Wir werden herumgeführt: Steile Treppen, Satyrfiguren schmücken den Aufgang, alte Gemälde von Männern in langen schwarzen Frauenkleidern hängen an der Wand. „Das Herzstück ist unser Darkroom: Unsere Kunden nennen ihn augenzwinkernd den Plenarsaal“, schmunzelt der Hausverwalter. Was hier drinnen geschieht, geht im Grund niemanden etwas an. Nur wer eine von den Hausherren ausgestellte Einladungskarte vorzeigen kann, darf rein. Codewort: Hammelsprung. Zeugen haben jedoch bestätigt, dass sie Geräusche wahrgenommen haben, die auf „Regierungsakte“ schließen lassen. Man kann sich gut vorstellen, wie hier während dem, was von den Besuchern verschämt „Bürgerschaftssitzung“ genannt wird, entspannt wird.

Wer es hart liebt, kommt hier auf seine Kosten. Frauen, Männer, ganz egal, es geht wild durcheinander. Geleitet wird eine solche „Sitzung“ jeweils von der Domina. Sie bestimmt, wie lange die Besucher „ans Pult“ dürfen. Wenn sie dann noch nicht fertig sind, wird ihnen „der Saft“ abgedreht.

Diskretion wird hier ganz groß geschrieben. Wer hier reinkommt, darf sich einen Alias-Namen wählen, mit dem schon deutlich wird, wo die speziellen Vorlieben liegen. So verkehren hier „Freudenberg“, „Rumpf“, „Zuckerer“, „Quast“, „Frühauf“, „Butenschön“.

Von Beust und Kusch („Andere nennen ihn weich, fast ängstlich“) sollen hier bereits mehrfach, mindestens einmal im Monat, gemeinsam gesehen worden sein. Aber auch Schill soll, wenn auch selten, hier mal vorbeigeschaut haben. „Ab und zu, wenn der von Beust in Geberlaune ist, dürfen hier auch mal ein paar von den Roten und den Grünen rein“, erfahren wir. Der Skandal scheint viel größer, als wir angenommen haben.

Wir legen uns auf die Lauer. Doch an diesem Tag erwischen wir den Justizsenator nicht. Er wildert wohl wieder mal in fremden Revieren („Kusch reist gern, wenn es um sein Hobby geht: Gefängnisse“).

alle Zitate in Klammern: Bild-Zeitung