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Archiv-Artikel

zahl der woche Werden wir wirklich fauler?

Die durchschnittliche Arbeitszeit der Deutschen sinkt. Angeblich

Werden die Deutschen lässiger? Ist ihnen die Firma egal, während sie bei fraglichen Trendsportarten Hals und Beinbruch riskieren, beim Grillen rumlungern oder sonstwo auf Vergnügungsjagd sind? Glaubt man Zahlen des Manager-Magazins, dann könnte der in Vergessenheit geratene Kanzler Helmut Kohl doch Recht behalten, der 1993 über den „kollektiven Freizeitpark Deutschland“ schimpfte. Jedenfalls schreibt das Blatt unter der Überschrift „Deutschland lehnt sich zurück“ in der aktuellen Ausgabe, dass die durchschnittliche Arbeitszeit auf ein Rekordtief gesunken ist. Im Vergleich zu 1983 arbeiten die Deutschen im Durchschnitt 250 Stunden weniger im Jahr.

Hartmut Seifert bestätigt auf den ersten Blick die Größenordnung der Faulheitszahlen des marktwirtschaftlich orientierten Magazins. Seifert ist Leiter des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) bei der gewerkschaftsnahen Hans Böckler Stiftung. Seifert sagt allerdings auch, von „durchschnittlichen“ Arbeitszeiten zu reden und daraus eine angebliche Faulheit der Deutschen zu konstruieren, sei Quatsch.

Tatsächlich nämlich gebe es ganz unterschiedliche Entwicklungen. Zum Beispiel die Arbeitszeitverkürzung. Ein großer Teil der Arbeitszeitverkürzungen hänge mit der Ausweitung der Teilzeitarbeit zusammen; eine Folge der stagnierenden Wirtschaft. In anderen Branchen sank die tarifliche Arbeitszeit nur gering – auf dem Bau nur um eine Stunde in den letzten dreißig Jahren. In vielen Zweigen aber ist die tarifliche Arbeitszeit unverändert. Und viele Jobs erfordern heute mehr Engagement. Bei Hochqualifizierten sieht Seifert beispielsweise eine Zunahme der Arbeitszeiten. Gegen die „Zurücklehn“-These spricht auch, dass die Krankenstände derzeit auf dem tiefsten Stand seit der Wiedervereinigung sind. Aber das schreibt das Manager-Magazin natürlich nicht.

Natürlich hat das Manager-Magazin der Tendenz nach Recht. Bei den allgemeinen Lohnverhandlungen 1918 im Deutschen Reich boxten die Gewerkschaften für die Industriearbeiter die 54-Stunden-Woche durch. Zu Beginn der 50er-Jahre wurde die Wochenmaloche allmählich auf 48 Stunden gesenkt und Anfang der Siebzigerjahre schrittweise auf vierzig Stunden. Ab Mitte der Achtzigerjahre begannen die Kampagnen für die 35-Stunden-Woche. In Teilen der westdeutschen Druck- und Metallindustrie ist sie seit 1995 eingeführt.

Im Osten scheiterte die IG Metall aber gerade erst vor wenigen Wochen mit ihren Streiks für Arbeitszeitverkürzungen. Die Streikenden fürchteten sich zunehmend um die Zukunft ihrer Betriebe. Weil die Deutschen lieber mehr arbeiten wollten, wendete sich die Stimmung gegen die IG Metall. Einmalig in der deutschen Geschichte.

MARIUS ZIPPE