„Kitsch ist schlimm wie Mord“

Designer Peter Schmidt über die Gestaltung von Produkten als Spiegel der Krise. Früher regierten Bescheidenheit und Witz, heutzutage billiger Tand und Schlamperei

taz: Herr Schmidt, Deutschland stagniert. Verleiht das Produktdesign der Krise Ausdruck?

Peter Schmidt: Auf jeden Fall. Die Krise ist sichtbar in dem Mangel an Qualität. Verpackungsmaterial ist heute außerordentlich schlampig gearbeitet. Es sieht aus, als wäre der Inhalt nichts mehr wert.

Geben Sie uns ein Beispiel?

Bei Schokoladenverpackungen war der Abstieg in den vergangenen fünf Jahren gigantisch. Nehmen Sie die Typografie. Da benutzt man jetzt die allerschrecklichste Schreibschrift.

Geben die Firmen weniger Geld für Ideen aus?

Nein, sie wollen nicht mehr. Das Bewusstsein, dass die Verpackung dem Inhalt entsprechen muss, ist nicht mehr vorhanden. Ich habe ja viele Flakons für Parfüm gemacht. Was da für ein Ernst dahinterstand, selbst wenn das Ergebnis fröhlicher Art war! Heute sehen die Behälter alle gleich aus. Und die Qualität der Verschlüsse ist eine Katastrophe.

Da spritzt das Parfüm aus dem Zerstäuber nach allen Seiten heraus?

So ungefähr. Wenn Sie vor einigen Jahren so einen Flakon in die Hand genommen haben, dann war der schwer. Oft hat man zusätzlich Blei verarbeitet, damit die Gefäße massiv in der Hand lagen. Das gibt es nicht mehr.

Was spiegelt sich darin – Geldmangel der Firmen und der Verbraucher?

Nein, Gleichgültigkeit.

Woher kommt die?

Die Manager haben heute so mit ihren Krisenproblemen zu tun, dass sie nicht mehr die Zeit und die Liebe aufbringen, sich mit Gestaltung zu beschäftigen.

Vermutlich können die Verantwortlichen schlechter rechtfertigen, viel Geld für scheinbar Überflüssiges auszugeben.

Selbstverständlich sind mittlere Manager, die 10.000 Euro sparen, bei den großen Monstern beliebter als solche, die 10.000 Euro drauflegen wollen.

Gab es denn umgekehrt in den 90er-Jahren, im Boom der New Economy, ein Design des Aufschwungs?

In der zweiten Hälfte der 90er kam etwas Seichtes auf. An Automobilen gibt es sehr viel Sinnloses. Selten ist eine schöne Linie erkennbar. Stattdessen sind sie zusammengesetzt aus vielen verschiedenen Formen. Gerade hatte ich einen Renault als Leihwagen. Da bekommen sie billiges Material und drinnen auch noch Kitsch. Und Kitsch ist wirklich das Allerschrecklichste, das ist wie Mord.

Wie reagiert Ihre Branche auf den 11. September?

Eine große Ratlosigkeit. Ich bin ein Amerika-Freak gewesen und muss nun sagen, die Reaktionen der USA sind sehr fragwürdig.

Spielt die Ratlosigkeit für die Arbeit der Designer eine Rolle?

Die leere Stelle in Manhattan wird zwar wieder mit einem sehr hohen Gebäude bebaut. Aber es wird ein sehr spezielles Gebäude sein, ein transparentes, gebrochenes – wenn Architekt Daniel Libeskind es so bauen darf. Eine angemessene Antwort: kein Monolith der Macht, sondern ein aufgesplittetes Ensemble aus mehrern Gebäuden.

Wie war es in den 80er-Jahren – reagierte die Gestaltung damals auf die Ökobewegung oder die konservative Wende?

Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre konnten glamouröse Dinge keine große Rolle mehr spielen. Gott sei Dank. Bei den Flakons war plötzlich ein Übermaß an Gold sehr fragwürdig. Das hat einen richtigen Ruck gegeben.

Bescheidenheit?

Nicht nur. Das Glamouröse wurde durch Witz ersetzt. Dieser Weg ist leider vor fünf Jahren verlassen worden.

Warum?

Man dachte, dadurch die Umsatzprobleme lösen zu können. Außerdem waren die Leute während des Hypes der New Economy bereit, viel Geld für Tand auszugeben.

INTERVIEW: HANNES KOCH