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Archiv-Artikel

Alte Tante in der Bikinizone

Endlich wird der Begriff „demokratischer Sozialismus“ im SPD-Programm ersetzt

Überraschende Wende im Streit um den „demokratischen Sozialismus“ im SPD-Programm: Jetzt sollen die Mitglieder entscheiden. Hohe Wellen hatte der Vorschlag des SPD-Generalsekretärs geschlagen, den Begriff ersatzlos zu tilgen. Nach einem Krisengespräch zwischen Olaf Scholz und Franz Müntefering in der Parteizentrale, das nach Vermittlung des Rattenexperten Günter Grass stattgefunden hatte, traten die beiden am Sonntagnachmittag vor die Presse.

Der Begriff soll jetzt nicht mehr gestrichen, vielmehr „konstruktiv weiterentwickelt“ werden und „lebensnäher“ ausfallen, erläuterte Müntefering die Übereinkunft. „Sozial, sozialer, Sozialismus“, diese Steigerung, so Scholz, funktioniere heute nicht mehr. Ein neuer Begriff soll den demokratischen und sozialen Werten der SPD verpflichtet bleiben, zugleich aber offen für neue gesellschaftliche Entwicklungen ausfallen. Auf einer Internet-Seite sollen bis Ende September neue Vorschläge gesucht werden.

Gemeinsam sprachen sich Müntefering und Scholz für den Begriff „LebensArt“ aus. Dazu der Stratege Müntefering: „Mit ‚LebensArt‘ verabschieden wir uns keineswegs vom demokratischen Sozialismus. ‚LebensArt‘ ist das moderne Wort für Sozialismus. Ich meine: ein guter, ehrlicher Kompromiss.“ Scholz ergänzte: „ ‚LebensArt‘ ist leicht, luftig, sozial, gerecht und schafft Arbeit.“ Auch die SPD-Linke kündigte inzwischen an, einer „vernünftigen Weiterentwicklung“ des Sozialismusbegriffs nicht im Wege zu stehen. Es werde kein erneutes Mitgliederbegehren geben, erklärte Sprecherin Andrea Nahles, aber konstruktive Vorschläge: „Wir wollen etwas erreichen, und dafür braucht die SPD Begriffe: ‚WillyDeluxe‘, ‚BebelsBart‘, ‚BikiniZone‘, ‚WellnessOase‘ oder ‚HildegardKnef‘ sind unsere Favoriten.“ Einige Juso-Vorschläge wie „Demokratisches SozialMus“ wurden abgelehnt.

Auch der SPD-Popbeauftragte Sigmar Gabriel macht sich Sorgen um den Sozialismus: „Aus meinen Gesprächen mit jungen Leuten und Künstlern weiß ich, dass die ‚alte Tante‘ SPD oft nicht frisch genug rüberkommt. Politik braucht auch Provokationen. Warum nicht ‚FitnessSalat‘ oder ‚SchnäppchenMobil‘? Eine Politik ganz ohne Wohlfühlfaktor – das wäre nichts für mich!“

Kritischer Einspruch von Günter Grass: „Ich habe das Wort vom Fortschritt geprägt, der sich im Schneckentempo bewegt. Aber ich muss auch prüfen, wie die Etappen auf diesem Weg zu benennen sind. ‚MachbarKeit‘ wäre für mich eine gute erste Etappe.“ Auch der Philosoph Jürgen Habermas schaltete sich in die Debatte ein. In der Arte-Serie „Was war links?“ sprach er von einer neuen Konstellation „postnationaler Sozialismus versus Fressen3000“, die ihn „überrascht“ habe.

Scholz und Müntefering indes sehen die Dinge gelassen. „Die Bürgerinnen und Bürger wollen keine esoterischen Theoriedebatten, sondern wissen, was sie nächstes Jahr im Portemonnaie haben“, gab sich Müntefering zuversichtlich. Scholz konkretisierte die „Roadmap“ wie folgt: „Die Sache muss nicht so verbissen laufen. Wir stellen jetzt ‚LebensArt‘ und fünf weitere Vorschläge zur Diskussion. Wir prüfen alle Einsendungen der Mitglieder. Auch die vom Genossen Günter gewünschte ‚MachbarKeit‘ nehmen wir ernst. Im November wird dann auf einem Sonderparteitag abgestimmt – und gut is!“ GERALD FRICKE