: Lotte legt ihn rein
Nach dem 1:0 gegen Dortmund feiert Köln die Spontanauferstehung seines lauffaulen Genies
KÖLN taz ■ Nein, ekstatischer Jubel war es nicht gewesen. Auch keine Verzückung, mit wilden Zuckungen und Hopsereien garniert. Es war stille Freude. Ein paar Grinser dazwischen. Zufriedenheit. Kölns Kickerschar hatte in den Momenten nach dem Schlusspfiff ein mildes Glück in den Augen. Und Trainer Friedhelm Funkel die passend schlichten Worte im Sinn: „Dieser Sieg hat uns sehr gut getan.“
So ist das, wenn man, zumal als Aufsteiger, in den ersten drei Spielen gute Auftritte hinlegt und mit einer gemeinen Mischung aus Deppertheit und Unglücksverkettungen dreimal leer ausgeht. Dann sucht man die Erlösung, den Knotenplatzer. Dieses: Irgendwann kommt das Glück zurück. Es kam. In Gestalt eines grandiosen Freistoßtores des richtigen Spielers im richtigen Moment. „Zauber-Tor“, schlagzeilte gestern der Kölner Express: „Lotte macht Köln glücklich“. Lotte ist Kapitän Dirk Lottner. Sein Zauber: Den Ball mit knapp einem Schritt Anlauf zum Siegtreffer exakt in den Winkel platziert. Der getupfte Drehschlenzer war Ausdruck von Lottners Interpretation von Fußball: Maximum an Effekt mit minimalem Aufwand.
Ebenso gut wie die Freistoß-Ausführung waren die Sekunden vorher. Neben Lottner hatten Kringe und Voronin auffallend lang um den Ball herumgestanden, offenbar diskutierend. Wer solle wie schießen? Draußen rumpelstilzte Dortmunds Trainer Matthias Sammer herum, brüllte und zeigte, wollte eine raffinierte indirekte Variante des Freistoßes andeuten, und verwirrte damit Tomas Rosicky, der bei Lottners Kurzanlauf seine Position in der Mauer verließ und den Weg volksbankenraiffeisenbankenhaft frei machte. Sammer setzte sich motzensfrei, er hatte falsch spekuliert.
Dirk Lottner, 31, kölscher Jung durch und durch, gebürtig aus dem sozial schmächtigen Vorort Zollstock und somit natürlicher Liebling der Massen, ist ein schlampertes Genie von mäßiger Laufwilligkeit. Immer umstritten, immer gelegenheitsgrandios. Im FC-Jahrbuch hat er den kongenialen Diego Maradona zum Vorbild seiner Jugend erklärt und bodenständige „Rinderrouladen mit Rotkohl und Kartoffeln“ als Leibspeise. Er sagte nachher: „Eigentlich wollte ich den Ball zu Florian Kringe zurückziehen. Dann hab ich gedacht: Schieß doch selbst.“ In einem anderen Interview klang die Tat eher raffiniert: „Ich versuch so zu tun, als wär nix, um dann doch reinzuschießen.“
Wie geplant auch immer: „Für einen etatmäßigen Zweitligaspieler war das doch gar nicht so schlecht“, gab Linksfuß Lottner, der Kölschtrinker und Connaisseur von Light-Zigaretten, seinen Kritikern noch mit. Viele in Köln streiten ihm die Erstligafähigkeit ab. Sein Spiel umweht immer etwas Geheimnisvolles und wenn es nur das Warten auf einen genialen Moment ist, der oft nicht kommt, aber immer kommen könnte. „Erlernter Beruf: Handelsfachpaker“ steht im FC-Jahrbuch, was immer das Geheimnisvolles sein könnte.
Das Match war aber auch ein Lehrstück, wie sich ein Team selbst ruiniert. Borussia Dortmund war anfangs beängstigend überlegen. Dann wurde aus Stärke Arroganz, aus unterkühlter Überlegenheit Eigenlähmung. Und der FC fightete den „scheinbar übermächtigen Gegner“ (Lottner) nieder. Sammer meinte zu Recht: „In den ersten 20 Minuten konnte man nicht erkennen, dass der Sieger Köln heißen könnte. Aber der Schein trügt. Wenn man so dominant ist, müssen eigentlich Alarmglocken angehen, psychologisch betrachtet.“ Der selbst ernannte Titelanwärter ist seit zehn Ligaspielen auswärts ohne Sieg, Tomas Rosicky sucht seine Form, Amoroso wirkt gelegentlich noch gelangweilter als der defensive Eisblock Andre Bergdölmo. Einen Trost hatte Sammer: „Wenn ich was Positives rausholen will, dann, dass wir nicht die Nerven verloren und am Ende noch zwei rote Karten bekommen haben.“
Manager Michael Maier sieht das grollvoll anders: „Vielleicht sollten wir mal ’ne richtige Klatsche kriegen“, damit „man sich bewusst“ werde, was alles schief läuft. Am Mittwoch gegen Brügge ist die beste Gelegenheit: Da wäre schon ein Remis eine Klatsche sondergleichen: Keine Champions League bedeutet Ausfälle in zweistelliger Millionenhöhe. BERND MÜLLENDER