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Archiv-Artikel

Böll-Stiftung auf der schwarzen Liste

Vor dem Welthandelstreffen in Cancún verschärfen Mexiko und USA Einreisebestimmungen. Auf einer Liste des mexikanischen Geheimdiensts stehen 60 „militante“ Globalisierungskritiker – darunter eine Büroleiterin der Heinrich-Böll-Stiftung

aus Mexiko ANNE HUFFSCHMID

Schlangennest soll Cancún in einer der alten Maya-Sprachen bedeuten, also ein eher ungemütlicher Ort. Vor 30 Jahren war es ein wenig beachteter Streifen Sand am Nordostzipfel der mexikanischen Halbinsel Yucatán. Dann erkoren es findige Investoren zum Paradies und verwandelten es in eine Bettenburg zwischen Karibikgrün und blauer Lagune. Heute lebt eine halbe Million Einheimische mehr schlecht als recht von rund 3 Millionen Touristen im Jahr, die meisten von ihnen fern von der Hotelzone im „wahren Cancún“, mehr als die Hälfte sind statistisch „arm“.

Aus dem fiktiven Ferienparadies wird dieser Tage eine Art temporärer Festung. Der Badeort bereitet sich auf die Tagung der Welthandelsorganisation (WTO) vor, die hier vom 10. bis zum 14. September stattfinden wird. Neben den geladenen Freihandelsfreunden erwartet das alternative „Forum der Völker“ rund 15.000 Globalisierungskritiker aus aller Welt. Doch Konferenzzentrum und Hotelmeile auf der kilometerlangen Sandzunge sind schon im Vorfeld weiträumig abgesperrt, Hunderte von Zivilpolizisten kontrollieren leicht die einzige Zufahrtstraße. „Links die Hotels, rechts die Krokodile“, beschreibt ein Reporter die wenig ermutigende Aussicht für wagemutige Demonstranten.

Die gesamte Polizei der Stadt ist im Einsatz, zudem werden 1.500 zusätzliche Bereitschaftspolizisten in Stellung gebracht, inklusive Wasserwerfer, Bombenexperten und Scharfschützen. Sogar die Einreisebestimmungen wurden verschärft, mit einem Mal brauchen akkreditierte Teilnehmer – von immerhin fast 1.000 Organisationen – ein Arbeitsvisum für Mexiko. Zeitgleich verlangen plötzlich auch die USA von Durchreisenden nach Cancún ein Transitvisum.

Zwar beteuert der neue Bürgermeister Juan Ignacio García Zalvidea, kurz Chacho, dass von der Polizei „keine Repression ausgehen“ werde. Doch die Erinnerung an den Februar 2001 ist noch frisch, als bei einem regionalen WTO-Treffen in Cancún hunderte von Demonstranten von Polizeitrupps geschlagen und festgenommen wurden. Und zumindest die Bauern vom transkontinentalen Bündnis Via Campesina, die schon am 10. September gegen die Agrokonzerne des Nordens demonstrieren, wollen sich an die Bannmeile um den Konferenzbunker nicht unbedingt halten – anders als das Netzwerk „Our World is not for Sale“ (OWINFS), das für den 13. September zu einer Großdemonstration aufruft.

Mobilisiert ist offensichtlich auch der mexikanische Geheimdienst. Wie die Tageszeitung Reforma berichtete, stehen rund sechzig „Globaliphobiker“, wie weltmarktkritische Aktivisten hierzulande zuweilen sarkastisch genannt werden, auf einer internen Observierungsliste. Die Watchlist liest sich wie ein „Best of“ der Globalisierungskritik: Naomi Klein steht darauf und Noam Chomsky, der Franzose José Bové, der „Empire“-Theoretiker Toni Negri ebenso wie der grüne US-Politiker Ralph Nader, Walden Bello und Ignacio Ramonet, Vandana Shiva und Viviane Forrester. Neben rund 20 Aktivisten aus dem Gastland werden Vertreter aus einem Dutzend weiterer Länder, darunter Landlose Brasiliens, südafrikanische Umweltschützer oder kanadische Nichtregierungsorganistaionen, als potenzielle Unruhestifter geoutet. Säuberlich unterschieden sind diese zudem nach Grad der Militanz: Während Chomsky, Nader oder auch dem ehemaligen kubanischen Wirtschaftsminister, Osvaldo Martinez, eine „moderate“ Haltung bescheinigt wird, sind die ecuatorianische Indioführerin Blanca Chancaso oder auch Federico Mariani, Kopf der Zapatista-Unterstützer in Italien, als „Ultras“ gekennzeichnet.

Auch die grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung will der Geheimdienst offenbar ins Visier nehmen. Als einzige Deutsche steht die Leiterin des Mittelamerikabüros, Silke Helfrich, auf der Liste. Auch wenn Herkunft und Bedeutung des Dokuments bislang ungeklärt ist, wertet Böll-Vorständlerin Barbara Unmüßig schon dessen bloße Existenz gegenüber der taz als „klaren Einschüchterungsversuch“ und „Zeichen ziemlicher Nervösität“. Helfrich habe die „volle Rückendeckung“ der Böll-Stiftung. Man hoffe sehr, so Unmüßig, dass dieser „Warnschuss“ die weitere Arbeit in der Region auch nach Cancún nicht behindere.